Norddeutsche Kultur-Notizen
Die Kolumne von Andreas Greve
Das Leben in den Vorstädten
Das so sehr ins Spar-Gerede gekommene Deutsche Schauspielhaus profitiert – wie auch das von vielen vergessene und etlichen nie gekannte Altonaer Museum – von der neuen Aufmerksamkeit. Besonders das provokative Problemstück: „Hänsel und Gretel gehen Mümmelmannsberg“ bekam viele Besucher und noch mehr gute Worte mit auf den Weg – ganz voran ein überwältigter Matthias Matussek, der für seine online-Besprechung geradezu hingabevoll in die Schreibtasten griff. So engagiert schrieb der in letzter Zeit doch stark von der Selbstinszenierung bzw. Eigendemontage in Anspruch genommene Journalist, als er vor Jahr und Tag Spiegel-Korrespondent in Brasilien und damit im wirklichen Leben unterwegs war.
„Stürmischer, nicht endender Applaus, dann Resolutionen und kämpferische Parolen: In Hamburgs Schauspielhaus schwappte Bürgerprotest auf die Bühne, die phantastische "Hänsel und Gretel"-Premiere endete im Tumult. Der nächste logische Schritt wäre der Sturm aufs Rathaus gewesen. Was für ein Chor! Was für Gesichter, welche Hingabe, was für ein Ernst!“ „Hänsel und Gretel gehn Mümmelmannsberg“ ist die bei weitem witzigste und intelligentste und frechste Show der Stadt, und wenn sich die Kids am Ende verbeugen, möchte man sich zurückverbeugen vor diesem ansteckenden Lebensmut, dieser Spielbegeisterung, dieser Unverstelltheit. Mann, haben sie sich diesen rund halbstündigen Applaus verdient!“ Soweit Matussek, mehr →: www.spiegel.de
Ich muß mich hier ganz auf ihn verlassen, denn ich gehöre zu denen, die ohne Not dort fast nicht in eine normale Aufführung gehen, gerne aber in improvisierte Acts in Kantine oder Probebühne. Übrigens gab Intendant Schirmer, der die Brocken so vehement und plötzlich hingeschmissen hatte, drei Wochen später dem Spiegel (Nr.42, S. 162) ein seltsames Interview, das eher den Charakter eines Patienten-Gesprächs trug. Der Mann war – nicht zuletzt aus sehr privaten Gründen – mit den Nerven völlig fertig. Seinem hoffentlich etwas unbesorgterem Nachfolger möchte man seitens der Politik nun nicht a priori ein geschlossene oder halbiertes Haus als Lockmittel anbieten. Denn noch wird er gesucht. Dennoch wird schon wieder getrickst.
Alte und neue Klassiker
Es laufen zwei große Ausstellungen, die nicht weiter erklärt oder beworben werden müssen. Im Bucerius-Kunstforum am Rathausmarkt „Marc Chagall-Lebenslinien“ und in der Kunsthalle Erich Heckel. Für den erwarteten Run auf die Bilder des jüdischen Malers aus Witebsk hat man sich mit einem extra gebastelten Kassenhäuschen (Tel. 040/3609960) vor dem Kunstforum gerüstet. Der Name Chagall ist halt eine sichere Publikums-Nummer. Interessant scheint in dem Zusammenhang eine während der Ausstellungszeit stattfindende Vortragsreihe mit dem Titel „Bridging the gap“ der ZEIT-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Verein zur Förderung des Israels Museums in Jerusalem.
Ans andere Ende der Kunstmeile: Der Weg zu den bei der Speicherstadt liegenden Deichtorhallen lohnt schon wegen der Photo-Buch-Handlung in einer der beiden ehemaligen Markthallen. Dort, im „Haus der Photographie“ wird – zum Glück noch bis nach Weihnachten – eine Retrospektive des britischen Photographen Paul Graham (1956) gezeigt. Er hat bereits seit den 80er Jahren der sozialdokumentarischen Photo-Kunst seinen Stempel aufgedrückt, nicht zuletzt trug er die Farbe in dieses traditionell schwarz-weiß ernste und drastische Metier. Jedes seiner Projekte wurde für sich bekannt – wie etwa „A1“ entlang der der englischen Nord-Süd-Nationalstraße oder „Beyond caring“, seine Bestandsaufnahme der endlosen Tristesse englischer Arbeitsämter. Immer wieder wechselte er für eine Zeit den Stil und führte ihn zu eigener Blüte, die er dann nicht weiter traktierte oder überreizte. Für Photographen müssen diese – obendrein grandios gehängten – Werke sehr entmutigenden wirken: Da kann man dann eigentlich einpacken. Vorher gastierte die Ausstellung übrigens im Museum Folkwang in Essen. www.deichtorhallen.de
Und schon wäre ich bei einem, der zu Lebzeiten nie aufgesteckt hat und dessen eine kleine Galerie in einem Hinterhof zwischen Altona und Bahrenfeld (an einer vom Durchgangsverkehr blutenden Verkehrsader im mittleren Westen der Stadt) gedenkt: Zu Ehren eines Hamburger Schwarz-Weiß-Photographen, des kürzlich hochbetagt verstorbenen Herbert Dombrowski. Ich will noch hin. Ich hörte bzw. las nur davon in der Zeitung: „....im Alter von 93 Jahren gestorben. In den 50er-Jahren fotografierte er oft Menschen in ihrem Alltag. Von ihm stammen Bilder von Werftarbeitern im Hafen, eleganten Derby-Besucherinnen, Männern an der Börse und auf dem Fischmark" Die Bilder kann man zwar im Internet anschauen, aber zu Fuß die Hinterhoftreppe hoch, paßt besser zu schwarz-weißen Motiven aus dem Hamburg der Nachkriegszeit. „Herbert Dombrowski in memoriam" läuft noch bis zum 30. Dezember 2010“. www.galeriehilanehvonkories.de"
Dem Verschachern einen Riegel vor Ein schöneres Ende für meinen Anfang kann es eigentlich nicht geben. Denn für die Hamburger Kultur ist die Kuh keineswegs vom Eis. Dem Kampf um den Erhalt des Altonaer Museums hat sich jetzt Staranwalt Strate beigesellt und für einen Volksentscheid einen findigen „Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderungen des Hamburgischen Museumsgesetzes“ formuliert, nach dem der Grund und Boden, auf dem die Kulturinstituitionen stehen – soweit sie der Stadt gehören – der „Stiftung Historische Museen Hamburg“ zu fallen. Das würde dann dem kurzsichtigen Verschieben und Verschachern ganzer Volks -Gedächnisse durch die Politik einen Riegel vorschieben.
Über 50 000 entrüstete Bürger hatten beim ersten Protest unterschrieben. Es besteht also Grund zum Optimismus, weshalb ich mit einem eigenen Reim dagegen halte. Beziehungsweise dafür:
Kultur-Optimismus
Aus Geld wird selten ein Gedicht,
es dringt kein Laut aus Schonvermögen. Die Kunst verträgt sich schlecht mit Pflicht, weil Wort-Bild-Ton zu leicht verflögen. Drum schenkt aus reiner Zuversicht dem Streichorchester Geigenbögen! |