Literatouren im Ruhrgebiet

Portrait einer Heimat

von Jürgen Kasten

Ulrich Land auf Tour
Foto © Joschi von Scherenberg
Literatouren im Ruhrgebiet

Portrait einer Heimat

 
Die Literatur hat das Internet längst erreicht und ist in vielfältigen Portalen präsent. Das Literarische Colloquium Berlin (LCB) kann durchaus als herausragend genannt werden. 2008 war es Preisträger des „Grimme Online Award“. Zwei Jahre zuvor initiierte es zusammen mit dem Brandenburgischen Literaturbüro „Literaturport.de“. Schriftsteller aus der Region stellten in ihrer jeweils eigenen Art ihre Heimat dar, wobei das Besondere daran war, daß Autoren und Fotografen hier kommunizierend neben einander gestellt wurden und sich in ihrer Erzählweise ergänzten. Nicht nur dieses Ergebnis wurde ins Netz gestellt, sondern auch Landkarten, die diese Touren nachgehbar machen und die von den Autoren oder Sprechern gelesenen Texte sind zusätzlich als MP3-Version abhörbar.
 
Nach diesem Erfolg fragte sich Dr. Ulrich Janetzki, Geschäftsleiter des LCB, warum nicht auch im Ruhrpott ein solches Projekt auf die Beine stellen? Schließlich hat er selber dort lange gelebt und kommt immer wieder gerne zurück. Er weiß um das unendliche literarische Potential dieser Region, das im Rahmen der Kulturhauptstadt 2010 nicht gerade ausführlich zur Geltung kam. Herr Dr. Muschick von der RWE Stiftung brauchte nicht lange überzeugt werden. So war ein Sponsor gefunden und das fertige Projekt konnte am16.11.2010 in Essen vorgestellt worden.
 
Fritz Eckenga war da, der vom Kabarettisten immer mehr zum Poeten wird. Er las ein Stück seiner Tour „Runter in den Norden und ein Stück in Richtung Meer“, die er am Dortmunder Hafen begann. Dort wo früher das Erz für die Stahlwerke den Kanal hochgeschippert kam. Auf umgekehrtem Weg verließen später die von den Chinesen bis auf die letzte Schraube demontierten Hüttenwerke Dortmund. Eckengas weiteren Weg kreuzen grillwurstverschlingende Angler, unbeeindruckte Enten und das Abschlußtraining des inzwischen vergoldeten Achters am Trainingszentrum beim RC Hansa. Launige Gedichte fügt der Autor ein und sein Fotograf Philipp Wente veredelt das ganze mit atmosphärischen Bildern.
 
Wolfgang Czieslas Tour „Beat´n Blues´n Jazz – Was Rüttenscheid erschütterte“ führt nostalgisch in Essens Kultur- und Musikgeschichte, die sich vor allem auf Rüttenscheid konzentrierte. „Als die Beatles in der Grugahalle auftraten, war ich elf“, beginnt er. Die Stones waren nicht seine Lieblingsband. Als sie unweit seiner elterlichen Wohnung im Hotel Arosa logierten, hätte er sie sich trotzdem gerne angeschaut; aber verpaßt. Zu legendären Musikereignissen nimmt Cziesla uns mit, in geschichtenumwobene Gebäude und Lokalitäten. Das Grillo Theater, Folkwang Museum, Saalbau, Lichtburg oder das Turock sind nur einige von ihnen. Die einzelnen Stationen werden von der Fotografin Vera Lossau stimmungsvoll in Szene gesetzt.
 
Jürgen Brôcan erwandert „Zeiten und Orte am Hellweg“, die sozusagen „am Weg“ liegen. Dabei stellt er uns historische Orte vor, die nicht jeder als „Pott-Klischee“ kennt; aber den zeitlichen Wandel der Region darstellen. Friedhöfe, Denkmäler und Industrieruinen sind seine Stationen am Hellweg, dessen Geschichte sich bis in die Römerzeit zurückverfolgen läßt. Der Fotograf Frank Wierke begleitete den Autor.
Beim üppigen Pressefrühstück (Kaffee, Kekse, Croissant) in der Heldenbar des Grillo Theaters war wenig Presse anwesend, dafür aber noch einige Autoren mehr, die leider nichts von ihren Touren vortrugen.
 
Ulrich Land mit seinem Fotografen Joschi von Scherenberg absolvierte den Emscher Park Radweg. Insgesamt 230 Kilometer zu zwei verschieden Jahreszeiten mit Skiern und Rollerblade. Dabei waren zwischen Lünen und Duisburg viele Geschichten zu erzählen „Weiß-Grün im Pott oder: Ein Radweg, zwei Jahreszeiten“.
„Blütenknospenkino – Eine Spazierfahrt am östlichen Rand des Ruhrgebiets“ war das Thema von Ralf Thenior und seinem Fotografen Frank Schultze. Beteiligt sind noch weitere Autoren: Bettina Gundermann (Fotos: Sonja Maria Zahnberg) sagt „Treiben lassen“, und zwar im Wald und in einer Dortmunder Kneipe. Es ist Heimspielsamstag. Auch Dieter Jandt (Fotos: Joschi von Scherenberg) hat sich des Fußballs angenommen „Der Ruhrpott, ein Pils, das runde Leder“. Barbara Köhler (Fotos: sie selbst) findet, daß Duisburg nicht nur als „Katastrophenstadt“ wahrgenommen werden kann „Duisburg für Anfänger“. Judith Kuckart (Fotos: privat und Stephan Wetzel) sucht Stationen ihres Lebens auf; Schwelm, Dortmund, Bochum, Essen „Kulisse Heimat“. Wolfgang Welt (Fotos: Peter Wasielewski) reflektiert „den langen Weg von der (Bergarbeitersiedlung) Wilhelmshöhe bis zum Schauspielhaus (Bochum)“. Sebastian 23, Slampoet und Kabarettist (Fotos: Tobias Heyel) legt den Finger auf die Verkehrsadern und mißt den Puls „Unruhepuls Ruhr“.
Norbert Wehr schließlich (Fotos: Arnd Drifte) ist u.a. Herausgeber des „Schreibheft – Zeitschrift für Literatur“, also spürt er Schriftstellern des Ruhrgebietes nach, wie Nicolas Born, Ernst Krawehl und anderen.


v.l.n.r.: U. Land, J. v. Scherenberg, W. Cziesla, R. Thenior, F. Eckenga, U. Janetzki, Dr. Muschick - Foto © J. Kasten
Eine gelungene Vorstellung, die neugierig auf das fertige Projekt machte. Ab sofort ist es im Netz freigeschaltet, zum Lesen, Schauen und Hören. Es überzeugt in allen Belangen. Klicken Sie mal rein www.literaturport.de