Lady Macbeth von Mzensk à la 1953

Florentiner Regiemißverständnis konserviert

von Peter Bilsing
Lady Macbeth von Mzensk
à la 1953
 
ARTHAUS konserviert Regiemißverständnis
 
Liveaufnahme aus dem
Teatro Maggio Musicale Florentino 2008
 

Gerade einmal 2 DVD-Gesamtaufnahmen gibt es bei Amazon, wobei diese ARTHAUS DVD seltsamerweise beim weltgrößten Anbieter nicht dabei ist. Vielleicht wollte aber auch eine gute Fee die Käufer vor ausgesprochenem Opernkäse bewahren, denn es ist das erste Mal, daß ich eine Silberscheiben-Besprechung mit de Empfehlung beginne, doch bitte den Bildschirm auszuschalten und nur die wunderbare Musik im 5-Kanal-Ton zu genießen.
 
In der Tat ist die Leistung des Orchesters des Maggio Musicale Fiorentino unter dem großen Dirigenten James Conlon, einem Klangmagier, der besonders für Schostakowitsch ein glückliches Händchen zu haben scheint, unübertroffen. Geradezu sensationell! Hier mischt sich Italianita mit tiefer, zu Herzen gehender russischer Musik und heraus kommt eine perfekte Interpretation. Was für eine Solovioline in den Traumsequenzen, was für ein Rubato im Zwischenspiel (für das der Maestro extra das Orchester hochfahren läßt, was Sie ja nicht sehen können, da sie meinem Ratschlag gefolgt sind…) und was für Gewalteinbrüche im fff. So muß Schostakowitsch gespielt werden! Barbarisch schön. Herzzerreißend gewalttätig.
 
Als Schostakowitsch-Fan besitzen Sie natürlich die CD-Gesamtaufnahme mit Rostropowitsch – immer noch das Maß der Dinge; auch und nicht nur wegen der fabulösen Sänger. Diese CD muß man einfach haben, so wie den RING von Solti.
 
Doch jetzt zum Ärgerlichen:
 
Leskovs Vorlage (Die Lady Macbeth aus dem Landkreis Mcensk) schildert die Öffnung einer Büchse der Pandora, indem der sich überstürzende Handlungsablauf - man wird die Geister die man rief nicht mehr los – aus dem ehemals friedlich frustrierten Landleben in ein Fiasko von Ehebruch, Mord und Selbstvernichtung mündet. Schostakowitsch übernahm die drastischen Szenen strichlos. Da ist es ist kein Wunder, daß Massenmörder Stalin in seinem bäurisch simplen Gemüt diese Oper alsbald verbieten ließ, die offen Morde, eine Massenvergewaltigung, Auspeitschung, den puren Sexakt und im Finale noch eine große Anklage über das Jahrhunderte lange Leiden des russischen Volkes anklagt. Eine Frau emanzipiert sich durch Mord – starker Tobak! Zwar sind viele Szenen ironisch, satirisch gebrochen und stellenweise blanker, zynisch grinsender Sarkasmus, aber Schostakowitsch meint es ernst; er hat sein Leben lang unter dieser Oper gelitten, alltäglich den Tod durch Deportation erwartend. Es hat ihn gezeichnet.
 
Leider hat Regisseur Lev Dodin das alles wohl irgendwie nicht verstanden, nicht verstehen wollen oder unter anderen Zwängen inszeniert. Prüde und erbärmlich rampensteherisch läuft die Geschichte ab, als hätte es Musiktheater nie gegeben. Natürlich wird die Magd nicht in ein Faß gesteckt und von den Burschen vergewaltig, nein – wir erleben ein fröhliches Tauziehen zum Rhythmus der Musik. Zum Sex zieht man sich diskret zurück – zum Mord übrigens auch. Gab es vielleicht hausinterne Vorgaben, daß die Oper auch für 6-jährige anschaubar sein muß?
 
Greuliches Werkmißverständnis auch bei der völlig verschenkten Polizeiszene, die sowenig Ironie und schwarzen Witz zeigt, wie die katastrophal nichtssagende Rollenauslegung des Schäbigen als eine Art Zirkus-Hanswurst. Am Ende sitzen Katharina und ihre Nebenbuhlerin Sonetka Beine-baumelnd an einer Bodenöffnung des großen Bauernhofs, der leider als Dauerbühnenbild bleibt, und – schwupps! – sind sie weg. Der schwache Schluß-Beifall (Ausnahme Conlon) – entweder haben die Florentiner Opernfreunde die Geschichte gerecht eingeschätzt, oder es waren zu wenige Mikrofone im Saal verteilt – sagte mehr als Worte. Ich kannte bei dieser Wahnsinnsoper bis dato nur frenetisch jubelnde und bravierende Zuschauer. Neutral ging nie jemand raus.
 
Ich möchte eigentlich gar nicht noch mehr Schlechtes schreiben, aber der kaum hörbare Chor war nun doch etwas peinlich. Eine klangliche Ausgewogenheit ließ sich nur durch Umschalten auf DTS-Ton herstellen, aber dann fehlte jegliche Dynamik. Jeanne-Michele Charbonnet in der Hauptrolle bemüht sich redlich und vibratoreich, doch kamen keinerlei Emotionen auf; weil sie leider, zumindest auf mich, eher wie eine bodygebuildete Mamutschka wirkt, die jeden männlichen Kontrahenten mit einem Schlag k.o. hauen könnte, als eine zart liebende, von ihrem bisherigen Leben frustrierte und enttäuschte Frau. Die begnadete Morenike Fadayomi (ein Püppchen von gerade einmal vielleicht 53 Kilo) hat uns just an der Rheinoper über die Maßen beeindruckend gezeigt, daß großer und feinfühliger Gesang nichts, aber auch gar nichts mit Körpergewicht zu tun hat. Massiv stehen auch die anderen ihren Mann, als wären wir am Bolschoi anno domini 1953; doch Vladimir Vaneev (Boris), Vsevolod Grivnov (Zinoviy) und Sergej Kunaev (Sergej) singen ordentlich. Letzterer ist sogar ein Lichtblick – dunkler Schatten allerdings über dem Polizeichef (Valdimir Matorin).
 
Der Gipfel ist die TV-Aufzeichnung. Da wird wild hin- und hergeschaltet, teilweise ohne Sinn oder irgendwelche dramaturgische Notwendigkeit. Nahaufnahmen werden zur Lachnummer, wenn die Sänger sich z.B. im Liebesduett nicht anschauen, sondern permanent irgendwelche Monitore oder den Dirigenten suchen. Die Choristen wirken wie im Dauerschlaf, dafür ist Katharina, am Ende in passende Sackkleidung gewandet, auch nach qualvollem Marsch durch Sibirien mit Rouge und dickem Lippenstift noch toll aufgebrezelt. Sonetka (Natascha Petrinsky) sieht so prächtig aus wie bei einer Modeaufnahme für Vogue. Die hautnahe Kamera zeigt uns auch den kleinsten Lidstrich. Die Jungs von der RAI wußten, was sie aufnehmen wollten… Ein irgendwie geartetes Konzept ist allerdings nicht erkennbar.
 
Also Schostakowitsch-Fans, bitte dennoch kaufen, es gibt ja kaum Alternativen, Breitbildschirm ausschalten und Schostakowitsch in 5.1. digital genießen. Danke James!

Redaktion: Frank Becker