... bis Z

Die Kolumne am Mittwoch

von Friederike Zelesko
… bis Z
 
Die Kolumne am Mittwoch
von  Friederike Zelesko


Unglück und Krankheit sind das Kreuz eines einzelnen. So wie Hölderlins Klagen und Visionen nur die eines einzelnen gewesen sind. Wurde er der Wirklichkeit entrissen, weil er an die Erlösung durch das Wort glaubte?
            Auch meine bescheidene Seele sehnt sich nach dem Großen. „Nach dem Göttlichen“ wage ich nicht zu sagen, es ist so unaussprechlich für unsere Zeit. Manchmal glaube ich an die Erlösung durch das Wort. Manchmal spüre ich sie auch, wenn ich ein Wort finde, das meinem Gefühl entspricht. Aber ich verlasse mich nicht darauf. Mein Pendel schwingt von innen nach außen, und von außen nach innen, immer wieder. Dann lebe ich im Takt. Das Wort „göttlich“ durfte Hölderlin damals in den Mund nehmen. Es war das höchste Ziel. Und der Dichtersprache angemessen. Das vollkommene Gedicht ist göttlich.
            In der Poesie fühlen wir uns ganz. Damals wie heute. In ihr richten wir uns nach unserem Geist. Wir vertrauen der Poesie unser Scheitern an, die Glücksmomente, die auch das größte Scheitern begleiten. Wir sprechen aus, daß wir an das Göttliche glauben, an den Tod, an eine Unterwelt, in die wir nichts mitnehmen können. Keine Worte, keinen Gesang, keine Liebe. Als Hölderlin merkte, daß er nicht mehr dichten konnte, war seine Antwort einfach: „Ich bin nichts mehr, ich lebe nicht mehr gerne“. 
            Ich glaube nicht, daß Hölderlin lebensmüde war. Er, der das Gefühl und den Gedanken so unaufdringlich in seiner reinen Poesie verschmelzen konnte, kann sich nicht das Leben nehmen. Er kann nur dem Leben entfliehen. Ob diese endgültige Flucht die Erlösung brachte, wird für immer ein Rätsel bleiben. Was wissen wir schon über seine vielen Jahre im Turm am Neckarfluß. Wir wissen, daß er umsorgt wurde von der Familie eines einfachen Mannes, der ein großer Bewunderer des „Hyperion“ war, und von keinem sogenannten „Barbaren von alters her“. Denn als solche betrachtete er die edlen Zeitgenossen. „Eines zu sein mit allem, das ist Leben der Gottheit, das ist der Himmel des Menschen.“ Und „Eines zu sein mit allem, was lebt, in seliger Selbstvergessenheit wiederzukehren ins All der Natur, das ist der Gipfel der Gedanken und Freuden“, heißt es im ersten Buch des Hyperion. Einfache Menschen haben die Dichter in ihrem Menschsein schon immer verstanden. In Krankheit und Not. Kann einem Besseres widerfahren?           
            Der Dichter wird zu jeder Zeit gebraucht. Er gibt alles. Und Hölderlin hat uns alles gegeben. Das ist seine innige Hinterlassenschaft. Er hat sie gelebt. „Wir trennen uns nur, um inniger einig zu sein, göttlich-friedlich mit allem, mit uns. Wir sterben, um zu leben. Ewig lebt die Seele in der Welt.“ Nun gilt es für mich, meine Hinterlassenschaft zu leben, so wie es mir zusteht und wie ich es verstehe.




© Friederike Zelesko - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2010