38 Jahr war sie

Ein Requiem

von Wolf Christian von Wedel Parlow
38 Jahr war sie

Die Augen rannen.
Waren es Tränen nur
oder auch der feuchte Himmel?
Grund hätte er gehabt,
38 Jahr war sie,
ließ Mann und Kind zurück.

Eine Ader war gerissen,
wo keine Hand hinkam,
die sie hätte flicken können,
Unbarmherziger, warum?

Dreimal stieß ich,
wie der Rabbi es befohlen.
die Schaufel in den Sand.
Dreimal warf ich,
letzter Dienst an der Toten,
den Aushub auf den Sarg.
Ihre wilden Locken hatten
im Leben so entzückt.

Ich bekam nichts Anderes zu fassen
als nur die Schulter des Gebroch'nen.
Er hatte sich fast ganz verkrochen
im Trauerberg aus Vätern,
Müttern, Söhnen,
die in der Umarmung
fest verschlungen
sich klagend wiegten,
wie ein Kind gewiegt wird
von der Mutter.

Dreimal drückt' ich,
als sei's die Schulter Hiobs,
die Schulter des Gebroch'nen.
Dreimal rief ich:
Du wirst es schaffen!
So hilflos war ich nie.

Drei Psalmen las der Rabbi
mit der Zunge der Hebräer.
Dazu der Paukenschlag
der vollen Schippen
auf den Sarg
und das leise Wimmern
aus dem Trauerberg.

Am Ende ein Glanz
von Zufriedenheit
im Gesicht der Männer.
Dreimal hatte jeder
die volle Schippe
über dem Sarg geleert.
Nur wenig fehlte,
wir hätten die Grube
ganz gefüllt.

Wir hatten der Toten
Respekt bezeugt
und durften nun,
die Geschäfte riefen,
wieder ziehen.

Nur zuvor noch
am dampfenden Bottich
vor der Kapelle
mit dem zweihenkeligen Krug
erst die Linke,
dann die Rechte übergießen!
Denn mit reinen Händen
kehr zurück ins Leben,
wenn du von der Pforte
des Todes kommst!


Wolf Christian von Wedel Parlow