Vor und nach dem Sturz

Stephan Rottkamp inszeniert in Düsseldorf „Bekannte Gesichter, gemischte Gefühle“ von Botho Strauß

von Martin Hagemeyer

Vor und nach dem Sturz
 
Stephan Rottkamp inszeniert in Düsseldorf
„Bekannte Gesichter, gemischte Gefühle“ von Botho Strauß
 
Inszenierung: Stephan Rottkamp – Bühne: Robert Schweer – Kostüme: Justina Klimczyk – Dramaturgie: Carolin Losch – Regieassistenz: Jana Vetten
Besetzung: Stefan: Michele Cuciuffo – Doris: Janina Sachau – Guenther: Wolfram Rupperti – Hedda: Christiane Roßbach – Dieter: Urs Peter Halter – Margot: Pauline Knof – Karl: Hans-Jochen Wagner – und Olga Nachtigall / Sarah Schulze-Tenberge
 
 
„Gemischte Gefühle“ – vermutlich konnte schon so mancher Rezensent nicht widerstehen, diese mittlerweile geflügelte Redewendung aufzugreifen, wenn er Stücke von Botho Strauß als mäßig besprechen wollte. Auch zu Stephan Rottkamps aktueller Version der frühen Komödie „Bekannte Gesichter, gemischte Gefühle“ am Düsseldorfer Schauspielhaus paßt dieser Kommentar – aber vielleicht ist das gar kein negatives Urteil. Denn die Inszenierung setzt die Vorgaben des Autors sehr gewissenhaft um, und für diesen gehört Irritation zum Konzept. Zwar erscheint der Inhalt zunächst eingängig: Sieben Männer und Frauen, untereinander mehrfach verbandelt, leben zusammen in einem sonst verlassenen Hotel; Gespräche mißlingen, ein Paarungsversuch ebenfalls, und am Ende wird „Ihr Kinderlein, kommet“ gesungen. Doch eigentlich handelt das Stück von gestörter Kommunikation (wie vieles bei Strauß); Hotelbesitzer Stefan, der sich als Einziger dem oberflächlichen Einverständnis entzieht, wählt schließlich den Freitod in der Tiefkühltruhe. Ein Mann heißt nur „Opfer“ und schwadroniert über die Ernährung der Zukunft, eine Frau spuckt Goldmünzen, eine andere versinkt im Boden.
 
Die Regie hält sich bei alledem eng an den Text und sieht ihre Aufgabe offenbar darin, die Struktur

von links: Michele Cuciuffo, Hans-Jochen Wagner, Janina Sachau, Christiane
Rossbach, Wolfram Rupperti -
Foto © Sebastian Hoppe
des Stücks zu unterstreichen: In der ersten Szene scheitert eine Tanzvorführung von Doris (überdreht: Janina Sachau) und Guenther (streng: Wolfram Rupperti) durch einen Sturz von Doris – und damit der Versuch der Gruppe,  in der Begeisterung für das Tanzen zu einer Gemeinschaft zu finden. Rottkamp präsentiert die Akteure hier als Eigenbrötler in spießiger Kleidung und Haartracht; die Schauspieler geben die Figuren entsprechend verschroben, wenn sie die seltsamsten Dinge in lapidarem Tonfall sagen („Wir haben Margots Fingernägel damals einfach wachsen lassen. Ich dachte, das wäre so ihre Art.“). Wenn durch einen Trick des zauberkundigen Karl (unmagisch: Hans-Jochen Wagner) in der zweiten Szene eine Doris-Doppelgängerin auftaucht und mit ihrem diesmal erfolgreichen Tanz für allgemeine Harmonie sorgt, ist hier auch optisch alles anders: Brillen und Perücken haben die zuschauenden Personen abgelegt, sich dadurch verjüngt und bestätigen damit Margots (naiv, wie es sein soll: Pauline Knof) Worte: „Wenn man so etwas Superschönes sieht, bild‘ ich mir ein, davon wird man auch selbst wieder ein bißchen hübscher.“
Nur Hotelier Stefan hält sich von diesem Auftritt fern, bleibt damit außerhalb der Gemeinschaft und sprengt auch sonst den Rahmen: Vom zuvor als Piefke verblüffenden Michele Cuciuffo plötzlich abgeklärt und vernünftig gespielt, eröffnet er Guenther, seinem Angestellten, daß er das gemeinsame Hotel wegen Überschuldung verkaufen will. Hier erlaubt sich die Inszenierung die vielleicht eigenständigste theatrale Idee: Während der Unterhaltung entkleiden sich die beiden Männer Stück für Stück; wenn man sie schließlich in Unterhosen dasitzen sieht, wird die peinliche Lage Stefans direkt fühlbar, als er versucht, Guenther seinen Immobilien-Deal mit dem Innenministerium schmackhaft zu machen: „Das Ministerium fördert den deutschen Amateurtanzsport!“
 

v. lks: Janina Sachau, Wolfram Rupperti, Pauline Knof  - Foto © Sebastian Hoppe
Das allgemeine Thema „mißlingende Kommunikation“ führt das Stück am deutlichsten auf dem Feld des Tanzes vor, dem Inbegriff für Zusammenspiel – aber natürlich auch dialogisch: mit Stellen, an denen eine Figur das Gespräch willkürlich in eine andere Richtung lenkt und es dadurch eigentlich kein Gespräch sein läßt. Das gilt etwa, wenn Karl über die lähmende Wirkung von Fernsehkonsum spricht und Margot dazu nichts anderes einfällt als die völlig irrelevante Frage: „Haben Sie schon mal etwas in der Fernsehlotterie gewonnen?“ Der konkrete Aspekt „Technikkritik“, der Botho Strauß hier und anderswo sehr am Herzen liegt, geht in der Inszenierung insgesamt allerdings ziemlich unter. Auch die verstreuten Bezugnahmen auf den Kalten Krieg im 1975 uraufgeführten Stück werden nicht aktualisiert (was auch nicht nötig ist), aber ebensowenig ausgeführt. Soll das Werk dadurch offener wirken, allgemeingültiger? Eher entsteht für den gesamten Abend der Eindruck: Regisseur Rottkamp verläßt sich so sehr auf die Zugkraft der Vorlage, dass er eigene Akzente nicht für nötig hält. Womöglich wird er dadurch dem Text sogar am besten gerecht. Aber so geht der Zuschauer nach Hause mit dem eingangs genannten Gefühl, das durchaus im Sinne des Autors sein mag: Man hat interessante eineinhalb Stunden erlebt, verschiedentlich auch gelacht – aber eigentlich weiß man nicht, worüber.


von links: Christiane Rossbach, Wolfram Rupperti, Michele Cuciuffo, Janina Sachau - Foto © Sebastian Hoppe
 
Redaktion: Frank Becker