Als der Zirkus in Flammen stand

Georg Kreisler - "Letzte Lieder" - Autobiographie

von Frank Becker
Memoiren eines Unzufriedenen

Wo viele Autoren - ob berufen oder auch nicht - gegen Ende ihrer Lebensspanne eine doch meist positive, leicht sentimentale, gelegentlich sogar selbstkritische Bilanz ziehen, tut es der selbst erklärte Misanthrop Georg Kreisler auf eine, seine schneidend kompromißlose Art. Kreisler erinnert sich nicht gern, dafür aber rechnet er in
seiner Autobiographie "Letzte Lieder" mit der Welt, gleich ob der österreichischen, der amerikanischen oder der deutschen ebenso geharnischt ab, wie mit Menschen, die sein Leben begleitet haben.
Beinahe durchgehend bekommt man den Eindruck, daß Georg Kreisler das alles mit den Zähnen mahlend über Dekaden mit sich herumgeschleppt hat - bis zu seiner Begegnung mit Ehefrau Nr. 3, der liebenswerten Barbara Peters, die ihn seither auch künstlerisch begleitet. Nun läßt er heraus, was ihn wohl seit Jahrzehnten umtreibt, und - er ist jetzt 88 Jahre alt und immer noch scharfzüngig - in vielleicht durchs Alter geförderter Bissigkeit haut er auch mit grober Keule drauf, ob das der wortbrüchige Theatermann August Everding, der einstige Wiener Weggefährte uns spätere Intimfeind Gerhard Bronner oder Ehefrau Nr. 2, die charmante Topsy Küppers ist, zu der das Verhältnis an einer unschönen Auseinandersetzung um die Rechte an Kreislers Erfolgsstück "Lola Blau" scheiterte.

Kreisler möchte auch nicht mehr in die Kategorie "Kabarettist" eingeordnet werden ("Ich glaube nicht, daß ich je Kabarettist war, hoffentlich nicht.") und will ausdrücklich nicht mit seinen bitterbösen Balladen á la "Bidla Buh" und  "Tauben vergiften", dem tragischen "Triangelspieler" oder dem unvergeßlichen "Zwei alte Tanten tanzen Tango" als Fazit seines Arbeits-Lebens identifiziert werden, doch kleben eben diese Everblacks und das Kabarett an ihm wie Pech. Mag sein, daß der nie ausgestandene Urheberstreit mit Tom Lehrer um einige seiner "Nichtarischen Arien" der Grund dafür ist, die Lieder heute zurückzuweisen, die einst seinen bis auf den Tag anhaltenden Nachkriegsruhm in Österreich und Deutschland begründet haben. Und wie er sich auch sträuben mag - Georg Kreisler ist untrennbar Bestandteil der der großen Zeit des Wiener Kabaretts der 50er und 60er Jahre mit Peter Wehle, Gerhard Bronner, Helmut Qualtinger, Kurt Jaggberg, Louise Martini und Carl Merz.

Ob Hollywood oder Wien, New York oder Berlin, Palm Beach oder Zürich - wirklich gefallen hat es dem Zerrissenen nirgends. Zwar schreibt er: "Ich beklage mich auch nicht...", doch ist "Letzte Lieder" eine einzige Klage, man möchte sich dazu versteigen, das Buch larmoyant zu nennen, wäre da nicht die Hochachtung vor dem Genie Kreisler, einem großen Künstler und in der persönlichen Begegnung sympathischen Mann.
Liest man einen Satz wie: "Die Welt ist für mich ein Pulverfaß, das zum Ziel hat, mich zu explodieren", wird die ganze Tragik eines verfolgten, verkannten und unzufriedenen Lebens offenbar. Das ist umso tragischer, als Georg Kreislers Rang und Beliebtheit allen Anfeindungen von Kleingeistern und Dünnbrettbohrern zum Trotz stets auf solchen olympischen Höhen stand, die anderen verwehrt geblieben sind. 2011 wird Georg Kreisler anläßlich seines 89. Geburtstages - er hat es in der Vergangenheit gelegentlich schon getan und ist doch zurückgekehrt - nun endgültig von der Bühne Abschied nehmen. Es bleiben seine Romane und Erzählungen, Gedichte und Satiren, Theaterstücke und Revuen, die Kompositionen, die "Seltsamen Gesänge" und "Nichtarischen Arien", Schallplatten und seine Erinnerungen - und natürlich: die "Everblacks".

Georg Kreisler
– „Letzte Lieder“ - Autobiographie
© 2009 Arche Literaturverlag, 156 Seiten, geb., ill. Schutzumschlag
19,90 € (D), 39,90 sFr (CH) - ISBN 978-3-7160-2613-7

Weitere Informationen:
 
 
Zur ergänzenden Lektüre empfehlen sich:

- "Georg Kreisler gibt es gar nicht", die Biographie, aufgeschrieben von Michael Seufert und Hans-Jürgen Fink (Scherz Verlag 2005)
- Gerhard Bronner, "Die goldene Zeit des Wiener Cabarets" (Hannibal Verlag 1995)
- Metzler Kabarett Lexikon, hrsg. von Klaus Budzinski u. Reinhard Hippen (Verlag J.B. Metzler 1996)