Zwischen den Jahren - Drei Themen / drei Stile

Norddeutsche Notizen

von Andreas Greve

Andreas Greve - Foto © Weychardt
Zwischen den Jahren -
Drei Themen / drei Stile
 
Norddeutsche Notizen
von Andreas Greve
 
 
Sitzen als Idee
 
Zwischen den Jahren - so heißt es - darf man nicht waschen, weil dann - verkürzt gesagt - der Aberglaube in die Frotteehandtücher fährt. Das reißt das Zeitfenster Kultur natürlich sperrangelweit auf, denn was tut man nicht alles, um die emotionale Lücke schleunigst zu schließen. Ich fand mich jedenfalls im Museum wieder, um mein Lieblings-Thema Waschmaschine mit dem Thema Stuhl zu kompensieren. Ich kann nur sagen, daß der mentale Payoff fast genau so groß ist, wie der Trommel beim Drehen zuzuschauen. Nichts tut dem Stressgeplagten wohler als eine kleine Ausstellung, die ausschließlich eine Sache zeigt. In diesem Falle sogar so Vertrautes wie Stühle. Lassen Sie es mich so formulieren: Stuhl ist Stuhl. Einerseits. Andrerseits ist Stuhl nicht Stuhl. Gezeigt wurde keineswegs alles, auf dem man sich zeitweise irgendwie

Foto © Dennis Conrad
niederlassen kann, sondern nur absichtsvolle Stühle. Sie gelten in einschlägigen Kreisen als weit größere Herausforderung als der Tisch (auf dem normalerweise Porzellan oder Papier liegt - und nur wenn der Postbote zweimal klingelt, auch mal Jessica Lange). Auf dem Stuhl hingegen nimmt der Mensch an sich Platz – und manchmal erhebt er sich erst nach Stunden, was für beide harte Arbeit bedeutet. Trotzdem soll er (der Stuhl oder Sessel) vorher wie nachher gut aussehen: Das Auge sitzt mit. Aber vor allem der Rücken. Eigentliche Aufgabe des Stuhles ist es, darüber hinweg zu täuschen - und auch hinweg zu helfen -, daß der Mensch nicht zum Sitzen geboren ist, sondern zum Laufen oder Liegen. „IDEEN SITZEN“ nennt sich die Schau „50 Jahre Stuhldesign“, und man merkt sofort, daß an diesem Titel nicht solange gefeilt wurde wie an Beinen und Sitzflächen mancher Stühle. Immerhin weiß man, was gemeint ist. Was die Ausstellung besonders löblich macht, ist der Katalog: Kein unbezahlbarer Wälzer, sondern ein kleines Büchlein von 210 Seiten für unglaubliche 5.- Euro: In wirklich hirnberuhigender und -bewegender Weise auf jeder Doppelseite rechts ein Designklassiker und links einige, wenige, aber essentielle Gedanken der jeweiligen Createure zu ihren Werken oder zum Sitzen als solchem.
Erhältlich in der besuchenswerten Hamburg-Filiale der Buchhandlung Walther König (dort, am Stuhl-Tisch, wählte ich unter den zahlreichen Büchern zum Thema das Standardwerk „How to design a chair“ / Conran Oktopus 2010. (ISBN 978-1-84091-546-4) im Museum für Kunst und Gewerbe Die Sonder-Ausstellung läuft/sitzt noch bis zum 13.3.2010.
 
 
Lesen als (ziemliche) Herausforderung
 
Ich wollte gar nicht von meiner Waschmaschine reden, sondern von Orhan Pamuk. Er war es, der zwischen den Tagen das kulturelle Zeitfenster – und verzeihen Sie mir diesen Ausdruck ausdrücklich nicht, da ich ihn ganz bewußt in boshafter Absicht auftauchen lasse, weil er 2010 genau so blödsinnig oft wie das Wortbild „auf Augenhöhe“ landauflandab von Allen und Jedem in den Mund genommen wurde und ich mir nun ein wenig Sorgen mache, daß plötzlich keines der Unwörter mehr im

Joshua Reynolds pinx. - Laurence Sterne
Schwange wäre... – jedenfalls war er es, der Schriftsteller – jener Istanbuler Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk - , der mir nicht gerade wenig meiner gerade erst gewonnenen Zeit gleich wieder abnahm – und ich spreche hier sowohl von der gefühlten als auch von der gemessenen Zeit -, indem er erstens ein Buch („Der Koffer meines Vater“) verfaßte, das sich so darstellte, als sei es eigens für mich gedacht und geschrieben, was ich natürlich erst merkte, als ich es zweitens las und dadurch drittens durch einen in eben diesem Buch in einem Essay über „Tristram Shandy“ von Laurence Sterne wenig versteckt placierten Lesehinweis mich leider dazu hinreißen ließ, einmal wieder in diesem verwirrend-spiegelnden Glanzstück über das Leben desselben (Tristram - und seines Onkels Toby), über das Leben als solches, und insbesondere über die Abschweifung im Besonderen, ausschweifend und mit höchstem Genuß zu schmökern. Eine Karussellfahrt. Nach dreiart zugebrachten Stunden der Muße und Mentalakrobatik mit diesem 250 Jahre jungen Stück Literatur ist man dann allerdings sprachlich für den normalen Alltag verloren. Soviel Bindestriche und Einschübe mag sich nicht einmal mein türkischer Babier Erdogan Ismail Tevikoglu – Erzbergerstr.6 in Hamburg-Altona, anhören, dessen an Selbstaufgabe grenzende Kundenorientiertheit ansonsten sprichwörtlich zu nennen wäre. Ich habe ihn nie gefragt, ob er Orhan Pamuk oder dessen Bücher überhaupt kenne.
 
Hören als reines Vergnügen
 
Ein wenig schlichter ging es da doch im Dezember hoch unterm Dach des Thalia-Theaters zu, wenngleich auch dort Sprachartisten am Werke waren: Finn-Ole Heinrich und Spaceman Spiff am letzten Abend ihrer Tour; nach fast dreißig Auftritten in nur einem Monat in der ganzen Republik und gar bis nach Breslau. Ich ging wegen Spaceman Spiff hin. Trotz seines fürchterlichen Namens. Das erste Mal hatte ich den jungen Singer-Songwriter vor knapp einem Jahr auf einem Hochregal mitten in der phänomenalen Ausstellung „Fenomen Ikea“ gesehen und gehört; und gedacht „Bow, der hat ja Talent!“ Er spielte nur ein paar Stücke, um etwas Musik in den Poetry-Slam-Abend im ansonsten schon geschlossenen Museum für Kunst und Gewerbe zu bringen. Ich kaufte seine CD, die er dort ambulant und charmant vertrieb und schrieb mich auf seine Mail-Liste. Ich war schnell bereit, mir einzugestehen, daß ich sein Fan sein könnte. Das passiert mir nicht so ohne weiteres. Nur das blöde „Spaceman“ hielt mich noch zurück. In den Infomails mit Musiklinks und Konzerthinweisen und kleinen Lebensbeichten und Tageseindrücken stand allerdings sein richtiger Name: Hannes Wittmer. Da hatte auch ich keinen vorgeschobenen Grund mehr. Auf Lebensbasis wäre es das dritte Mal, daß ich mich zum Fan erklärte. Die anderen beiden sind der Autor und Kabarettist Werner Finck (1902-1978) - auch so ein Life-Performer, aber unter Einsatz desselben - und Michael Krüger (1943 bis heute), der unermüdlich an allen erdenklichen Kulturfronten seinen Vermittlungsdienst für Inhalt und Form, Niveau und Anständigkeit betreibt und dabei trotzdem noch Zeit findet, eigene Gedichte zu schreiben (der von ihm über Jahrzehnte geführte Hanser-Verlag gibt die Bücher Orhan Pamuks heraus – und das scheint mir kein Zufall.). Erst gegen Ende des Sommers schaffte ich es, ein zweites mal, Hannes live zu hören. Da spielte er im kleinen Ladenlokal der „Hanseplatte“ (Slogan: „Musik von hier“) – und zwar aus Anlaß der Verleihung des 1. Preises „Krach und Getöse“ 2010 an ihn. Der Raum war randvoll mit seinen Fans. Mit dem bloßen Auge ist er von seinem studentischen (?) Publikum nicht zu unterscheiden. Vielleicht eine Spur verträumter – sogar jünger, denn immerhin ist er erst 24. Nach dem kleinen Konzert war ich endgültig überzeugt: Der macht das! Alshätichsnichtgleichgewußt! Da bin ich keinen Deut anders als meine alte Tante Lotte, die bis heute glaubt, ihr eigenes Früherkennungssystem hätte die Karriere von Udo Jürgens im Grunde erst möglich gemacht. Nein, das wird noch was – und das wird noch mehr. Wer in seinen ersten jungen Jahren die Dialektik des Lebens so formschön banal benennt - etwa „Denn auch ich geh über Leichen, um Gras zwischen den Zeh´n zur spür´n“ - der hat gute Chancen, seinem eigenen Ausdruckswollen auf die Schliche zu

Thalia Theater - Foto © Thalia
kommen. „Vorhang auf, hier kommt das Ende“ ist eine überaus merkbare Lied-Zeile. Sie klingt fast wohlbekannt. So wohl und bekannt wie die milden Melodien. Nix spacy. Spiff! Auch in der „Zentrale“, der neuen Bar im alten Gewand im 4. Stock des Thalia-Theaters, geht der Sänger vor dem Singen noch ein wenig durch die Zuschauer. Vielleicht 150 Leute unter 66 müden 7-Watt-Birnen in dem derartig auf Retro getrimmten Lokal, das es samt verschossener Tapete wie im Vereinsheim wirkt. Er kommt auch zu mir hin, weil ich ihm etwas sagen möchte. „Ich bin Dein Fan!“ sage ich. Und so einen Satz habe ich in meinem ganzen Leben nun wirklich noch nie gesagt. „Ich bin Hannes“ sagt Hannes und reicht mir die Hand. Wow.
Ich glaube, der jungen Schriftsteller Finn-Ole Heinrich ist auch sein Fan. Er hört jedenfalls mit offensichtlichem Interesse den Songs seines neuen Buddys Hannes Wittmer zu. Auch seinen Moderationen und sogar seinen Salbeitee-Vorlieben oder Brillen-Problemen. Die rutscht immer - und er schiebt sie immer wieder hoch. „Drei Kilometer bis zur Elbe, drei Meter bis zum Telefon“ und die Elbe reimt sich gut auf „nicht dasselbe“ denn „Da, wo ich her komm, war ich wer - hier muß ich irgendjemand sein.“
Irgendwann bekommt dann auch Heinrich seine Chance. Seine Stimme, sein Blick, seine Gestik, seine Texte – alles ist schärfer, aber keineswegs unumstößlich. Ein toller Vorleser seiner eigenen Geschichten. Da haben sich zwei gefunden. Jeder für sich ist gut und zusammen bringen sie – so ganz ohne Mühe - das Thema „Freunde“ leibhaftig auf die Bühne. Ganz egal, was sie machen oder sagen. Die Vorstellung geht ans Herz – und das ist viel. Ich würde spätestens seit ihrer CD „Du drehst den Kopf, ich dreh den Kopf“ sagen: If they can make it there / they`ll make it anywhere. (Das letztere ist leider nicht von dem legedären Hamburger Jung Bert Kaempfert (1923-1980), der aber für Sinatra einen anderen Evergreen schrieb, „Strangers in the night“, dessen Mittelteil vielleicht sogar Finn-Oles und Hannes Zusammentreffen quasi antizipierte: „wir waren Fremde in der Nacht, bis zu dem Moment, als wir unser erstes "Hallo" sagten. ...“ Ja. So wird es sein.
Nun bin ich doch sehr erleichtert, weil ich schließlich der Mehrfachnennung des Massenartikels „Fan“ durch den etwas komplizierten, aber exakten Begriff „antizipieren“ Einhalt gebieten konnte.
 
Ich wünsche Ihnen ein völlig neues 2011 und… möge Ihr Zeitfenster immer auf Augenhöhe sein!
 
Ihr
Andreas Greve

Redaktion: Frank Becker