Saitenspiele im Quartett IV

Das Prisma Streichquartett in Wuppertal

von Johannes Vesper
Saitenspiele im Quartett IV

Prisma Streichquartett
am 23.01.10 in Wuppertal
 
 
In dieser Saison wird in Wuppertal die große Kammermusiktradition vergangener Jahrzehnte fortgesetzt, war doch erst vor einer Woche am gleichen Ort Schuberts C-Dur-Streichquintett aus seinem Todesjahr vom Martfeld-Quartett mit dem Cellisten des Tokyo-String-Quartett, Sadao Harada gefeiert worden. Gestern also waren Saitenspiele IV - das 4. Wuppertaler Kammerkonzert des Prisma-Streichquartetts - im Mendelssohn-Saal der Historischen Stadthalle Wuppertal auf dem Johannesberg zu hören. Die sechs Wuppertaler Streichquartettabende des Ensembles werden von Detlef Muthmann gefördert, der schöne Konzerte hier im Tal erlebt hat und auf diese Weise der Stadt etwas zurückgeben möchte. Donnerwetter! Danke! Der Name des Quartetts ist wohl Programm: wie sich im Prisma das Licht bricht, wird die Streichquartettliteratur durch die Jahrhundert aufgefächert. Matthias Metzger, Boris-Alexander Jusa, Annette Hartmann und Pirkko Langer studierten die Streichquartettliteratur u.a. in Basel bei Walter Levin, dem Gründer und Primarius des berühmten La Salle Quartetts, der mit seinem Quartett dreimal in Wuppertal aufgetreten ist, zuletzt 1975 und dessen Großvater ab 1912 jahrzehntelang als Kantor an der Elberfelder Synagoge gewirkt hatte. Der Geist des Ortes wirkt! Gestern standen Werke von Grieg, Cage und Dvorak auf dem Programm.
 
Griegs nachgelassenes 2. Streichquartett von 1891 wurde vom Komponisten nicht vollendet. Immerhin  liegen aber die beiden vorhandenen Allegro-Sätze vollständig vor. Voller Melodie und Rhythmus, im 2. Satz tänzerisch, mit ungeheurer dynamischer Breite und stets perfektem Zusammenspiel wie aus einem Guß musiziert, stimmten sie auf das Kammerkonzert ein. 
Der produktive Jon Cage (1912-1992), Privatschüler von Arnold Schönberg, hat 350 musikalische und audiovisuelle Musikwerke geschaffen. Er nimmt für die Musik des 20. Jahrhundert vielleicht eine ähnliche Rolle ein, wie Josef Beuys für die bildende Kunst. Sein „String Quartet in Four Parts“ von 1949/59 klingt beginnt mit ruhigen Flageolett-Tönen. Statische, delikate empfindliche Klänge leiser Sphärenmusik ohne Vibrato, ohne Melodie oder musikalischen Gedanken, ohne Rhythmus breiten sich im Raum aus. Das sind Klänge jenseits herkömmlicher Musik. Die Bezeichnung der Sätze erinnert zwar an Haydn und Vivaldi, aber programm-musikalisch sind diese Jahreszeiten Frühling, Sommer, Herbst und Winter nicht zu verstehen. Das Streichquartett musiziert bis auf die Cellistin im Stehen. Seele und Emotion werden so noch stärker in Bewegung und Klang umgesetzt und die ungeheure Präsenz der Musiker, die wechselnden Beziehungen zwischen ihnen wie zwischen Bögen und Saiten schlagen das Publikum in den Bann. 
 
Und dann das Hauptwerk des Konzertes: Dvoraks letztes Streichquartett wurde 1895 unmittelbar nach seinem Aufenthalt in den USA (1892-95) in nur fünf Wochen komponiert und am 09.10. 1896 uraufgeführt. Das schnelle kurze aufsteigende Sext-Motiv mit dem furiosem Abgang von 1/16 Triolen im 1. Satz nimmt dem Zuhörer den Atem. In der Durchführung wird mit ungebremster Virtuosität eine Fülle musikalischer Ideen durch die verschiedensten Tonarten moduliert und komplex durcheinander gewirbelt. Das ist kein Werk eines asthenischen Hypotonikers. Dvorak litt ein Leben lang unter  Bluthochdruck.
Im Adagio des 2. Satzes  entwickelt sich aus Klangteppich über melancholischem Ostinato langsam ein leidenschaftliches Thema. Mit seelenvollen Mittelstimmen und wunderbaren Cellokantilenen handelt es sich um einen der schönsten langsamen Sätze Dvoraks.
Das Scherzo beginnt mit schnellem ¾ Takt. Nach musikantisch derbem Geigenstrich im böhmischen Tanz, gelegentlich mit Pizzicato, folgt ein sanftes Intermezzo und dann die Wiederholung des 1. Teils. Das eigentliche Trio von langsamerem Charakter verbreitet milde Stimmung, beunruhigt aber durch Taktwechsel. Zuletzt erklingt wieder der 1. Teil verkürzt und robust.
Im Finale wird die langsame Einleitung schnell vom synkopischen 1. Thema über Orgelpunkt abgelöst. Nach wilder Durchführung mit kurzem Pizzicato singt die sonore Bratsche im eingeschobenen Zitat der langsamen Einleitung. Nachdenklicher Dialog zwischen 1. Geige und ernster Bratsche. Dvorak hat selbst hat ja jahrelang als Bratscher im Prager Theaterorchester gespielt. Das romantische Spätwerk Dvoraks endet nach einem Finale furioso durch die Tonarten in Dur. Von solcher Fülle musikalischer Einfälle, mit überschäumendem Temperament gespielt, wird der Zuhörer gepackt.  Begeisterter Applaus, Bravo!-Rufe. Als Zugabe gab es die Wiederholung des 2. Grieg-Satzes. 
 
Wer dieses Konzert versäumt hat, der kann die beiden ausstehenden noch hören:
 
So. 27. Februar 2011, 16 Uhr
Saitenspiel: Im Quartett (5)
„Eine kleine Nachtmusik“ G-Dur KV 525
György Ligety
Streichquartett Nr. 1 „Métamorphoses nocturnes“ (1954)
Othmar Schoeck
Notturno für Baß-Bariton und Streichquartett op. 47

So. 13. März 2011, 16 Uhr
Saitenspiel: Im Quartett (6)
Anton Webern
Fünf Sätze für Streichquartett op. 5 (1909)
Paul Hindemith
Streichquartett Nr. 4 op. 22
Franz Schubert
Streichquartett Nr. 14 d-Moll D 810

Redaktion: Frank Becker