Vom rechten Reisen

von Freiherr Adolph von Knigge

Adolph Freiherr von Knigge
Vom rechten Reisen
 
Ich habe einmal den Wunsch geäußert, es möchte jemand, statt die ungeheure Anzahl von Reisebeschreibungen großer und kleiner Reisen durch alle Winkel von Deutschland zu vermehren, ein Werk drucken lassen, in welchem er Vorschriften gäbe, wie man sich im allgemeinen zu betragen hätte, um wohlfeiler, angenehmer und nützlicher zu reisen. In einer Schrift über den Umgang mit den Menschen kann nur ein geringer Teil dieser Regeln Platz finden; doch darf ich diesen Gegenstand auch nicht ganz mit Stillschweigen übergehen, denn zu dem, was man unter Menschen treibt, gehört doch auch das Reisen mit. Also einige einzelne Anmerkungen über das Betragen auf Reisen.

Es ist weise gehandelt, bevor man verreist, aus Büchern oder mündlichen Erzählungen sich genau von dem Wege, den man nehmen will, von demjenigen, was unterwegs und in den Orten, die man besuchen möchte, zu bemerken, zu beobachten und zu vermeiden ist, nicht weniger von den Preisen und den unvermeidlichen Geldausgaben zu unterrichten, damit man weder betrogen werde noch etwas versäume, das der Aufmerksamkeit wert scheint. Man verrechnet sich leicht in seinen Überschlägen der Reisekosten; ich rate daher nicht nur, nach gemachtem Etat sich immer etwa auf ein Drittel mehr gefaßt zu halten als die gezogene Summe beträgt, sondern auch besorgt zu sein, daß man in den Hauptorten, durch welche man kommt, an sichere Männer adressiert sei, oder sonst Mittel habe, im Fall unvorhergesehene Umstände eintreten, sich aus der Verlegenheit zu reißen.
Leute von gewissem Stande pflegen Tag und Nacht fortzurollen, ohne sich unterwegs aufzuhalten. Dies mag recht gut sein, wenn man die teuren Zehrungen in Wirtshäusern ersparen will, wenn man eilig ist, um den Ort seiner Bestimmung zu erreichen, oder wenn man mit den Gegenden, welche man durchreist, schon so bekannt geworden ist, daß man da nichts mehr sehen kann, das unserer Beobachtung wert wäre. Außerdem aber rate ich, lieber kleine Reisen aufmerksam zu unternehmen, als große, auf denen man bis in die Hauptstädte hinein nur Postmeister und Postknechte kennenlernt. Auch mische man sich, wenn es uns ein Ernst ist, unsere Menschen- und Länderkenntnis zu erweitern, unter Personen von allerlei Ständen. Die Leute von gutem Tone sehen einander in allen europäischen Staaten und Residenzen ähnlich, aber das eigentliche Volk, noch mehr der Mittelstand trägt das Gepräge der Sitten des Landes. Nach ihnen muß man den Grad der Kultur und Aufklärung beurteilen.
Zum Reisen gehört Geduld, Mut, guter Humor, Vergessenheit aller häuslichen Sorgen und daß man sich durch kleine widrige Zufälle, Schwierigkeiten, böses Wetter, schlechte Kost und dergleichen nicht niederschlagen lasse.

Dies ist doppelt zu empfehlen, wenn man einen Gesellschafter bei sich hat; denn nichts ist verdrießlicher, als mit einem Manne zu reisen und in einem Kasten eingesperrt zu sitzen, der stumm und mürrischer Laune ist, bei der geringsten unangenehmen Begebenheit aus der Haut fahren will, über Dinge jammert, die nicht zu ändern sind, und in jedem kleinen Wirtshaus so viel Gemächlichkeit, Wohlleben und Ruhe fordert, als er zu Hause hat.
Das Reisen macht gesellig; man wird da mit Menschen be- und auf gewisse Weise vertraut, wie wir außerdem schwerlich zu Gesellschaftern wählen würden; das ist auch weiter von keinen Folgen, und ich brauche wohl übrigens nicht zu erinnern, daß man sich hüten müsse, in der Vertraulichkeit gegen Fremde, die man unterwegs antrifft, zu weit zu gehen und dadurch Abenteurern und Spitzbuben in die Hände zu fallen.
Ich rat niemand, sich auf Reisen einen fremden Namen zu geben; man kann dadurch, ehe man sich´s versieht, in große Verlegenheit geraten, und selten ist es nötig und nützlich, ein solches Inkognito zu beobachten.
Manche Leute suchen etwas darin, auf Reisen zu prahlen, viel Geld zu verzehren, glänzen zu wollen und prächtig gekleidet zu sein. Das ist eine törichte Eitelkeit, die sie in den Wirtshäusern teuer büßen müssen, ohne für ihr Geld mehr zu erhalten als der einfache Reisende.
Niemand erinnert sich weiter des Fremden, der so viel Aufwand gemacht hat, wenn dieser weiter gereist und nichts mehr von ihm zu ziehen ist. Man kleide sich bequem. Ein ungemächlicher Anzug macht unbehaglich, ungeduldig und müde.

Man spare auf der Reise nicht am unrechten Orte. So gebe man zum Beispiel den Postillons zwar nicht übertriebene, aber doch nach den Umständen reichliche Trinkgelder. Sie sagen sich das einer dem anderen auf den Stationen wieder; man kommt dann schneller fort und hat manche Vorteile davon.
Wenn der Gastwirt übermäßig viel für die Zehrung fordert und sich nicht auf einen starken Abzug einlassen will, so tut man doch nicht wohl, ihm schriftliche Rechnung und genaue Spezifikation jedes einzelnen Punktes abzufordern, es müßte denn der Mühe wert sein, ihn bei der Polizei zu belangen. Fängt er an aufzuschreiben, so rechnet er immer noch mehr heraus, als er anfangs gefordert hatte.
In Wirtshäusern, wo Wein zu haben ist, wird der Wirt, wenn man Bier fordert, immer versichern, das Bier sei sehr schlecht. Hier ist der beste Rat, nur gleich Wein zu bestellen und (wenn uns daran gelegen ist, Bier zu trinken) dies hinterher zu verlangen.
Die Wirte fragen uns gemeiniglich, was wir zu essen befehlen. - Das ist ein Kunstgriff, durch den man sich nicht fangen zu lassen braucht; denn schnell bestellt man nun etwas, z.B. ein Huhn, einen Pfannekuchen oder dergleichen, so muß man dies Gericht und noch obendrein eine gewöhnliche Mahlzeit bezahlen. Man tut da am besten zu antworten, man verlange nichts, als was gerade im Hause oder schon zubereitet sei.
Auch rate ich, keine fremden Weine, sondern nur gemeinen Tischwein zu begehren. Es kommt doch alles demselben Fasse, nur mit dem Unterschied, daß das, was man uns als alten oder fremden Wein verkauft, kostbareres Gift ist als das, womit man uns am allgemeinen Wirtstische versorgt. Und selbst an dieser Wirtstafel zu speisen ist gewiß für einen einzelnen Reisenden wohlfeiler und unterhaltender, als auf seinem Zimmer seiner eigenen Person gegenüber zu sitzen ...

Das Fußgehen ist gewiß die angenehmste Art zu reisen. man genießt die Schönheiten der Natur, man kann sich unerkannt unter allerlei Leute mischen, beobachten, was man außerdem nicht erfahren würde, man ist ungebunden, kann das freundlichste Wetter und den schönsten Weg wählen; sich aufhalten, einkehren, wann und wo man will; man stärkt den Körper, wird weniger erhitzt und gerüttelt, hat Appetit, hat Schlaf und ist, wenn Müdigkeit und Hunger der Bewirtung das Wort reden, leicht mit jeder Kost und jedem Lager zufrieden.
 

Freiherr Adolph von Knigge (1752-1796)