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Die Kolumne am Mittwoch

von Friederike Zelesko

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Die Kolumne am Mittwoch
von  Friederike Zelesko

Wahrhafte Museen sind Orte, an denen sich die Zeit in Raum verwandelt, schreibt Orhan Pamuk, der türkische Schriftsteller.
            Ich stimme dem zu. Wenn ich ein Museum betrete, sehe ich zuerst nur den Raum. Ein Kontinuum, in dem sich Tageslicht und Kunstlicht abwechseln. Ich durchschreite diesen Raum, ja, durchschreite ihn, denn nur das ist möglich. Je nachdem erscheinen die Kunstwerke, im Licht oder im Dunkel, wirklich oder unwirklich. Die hohen Wände und Treppenhäuser verstärken dieses Raumgefühl. Kleine Schwellen mit beleuchteten Ritzen erinnern mich, den Fuß vorsichtig zu heben. Dabei bemerke ich den Materialwechsel vom Terrazzoboden zum Mörtelboden, den der Architekt sicherlich bewußt eingesetzt hat. Oder ich bemerke, wie sich die graue, federleichte, schmale Vorhangfahne vor dem riesigen Glasfenster bei meinem Vorübergehen bewegt. Verwundert stelle ich fest, daß der Blick auf die Stadt und auf den Dom mich überhaupt nicht irritiert. Ich empfinde es eher so, als umarme mich die Stadt da draußen, als würde sie mein Durchschreiten der Räume ganz selbstverständlich billigen. Das Drinnen und  Draußen verschmelzen zu einem gemeinsamen Panorama.
            Von den Materialien Glas, Mörtel und Terrazzo geht eine Sinnlichkeit aus, die meine Erinnerung und Phantasie beflügeln. Ich wende mich wieder den Kunstwerken und ihren vielen verschiedenen Ebenen zu und bin auf der Suche nach Gemeinsamkeiten, nach Wechselwirkungen, um mir das Unsichtbare im Sichtbaren vorstellbar zu machen. Erst als ich den letzten Raum betrete, das Lesezimmer, dessen Wände mit einem aus einem Stamm geschnittenen Mahagonifurnier überzogen sind, das einmal heller, einmal dunkler, eine wunderbare Fächermaserung in Wiederholung zeigt, komme ich in einem Ledersessel zur Ruhe und beginne über das Gesehene nachzudenken. Die Stille des Raumes läßt mich verstummen. Ich bin zu keiner Denksprache mehr fähig. Die vielen Räume, die ich durchschritten habe, haben sich in mir ausgedehnt. Ich greife nach der Museumspublikation zur Ausstellung, die im Lesezimmer ausliegt und in der man blättern kann. Ich betrachte die schönen Bilder, die wunderbare Ausstattung mit Beiträgen von Kunsthistorikern, Zitaten von Schriftstellern und Künstlern, den ästhetischen Druck und bleibe an Worten, wie Zuwendung, Erfüllung, Anspruch, Begehren, Respekt, Triumph, Spiel, Fest, Weg, Verantwortung, Mythos, Hinterlassenschaft, Leidenschaft, Nähe und Abstand, Konflikt und Rätsel hängen, dann an dem Satz: Ein Mensch verläßt die Erde ... Ich verlasse das Museum ...


© Friederike Zelesko - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2011