Vom Rühmann-Muff befreit

"Charleys Tante" im Theater Hof

von Alexander Hauer
Theater Hof
Charleys Tante
 
Komödie von Brandon Thomas
Übersetzung und Bearbeitung von Jürgen Lorenzen


Oxford, Frühjahr 1911
 
Kastanien blühen jugendstilangelehnt über mit Seerosenblüten übersäten sanften englischen Park- und Seelandschaften. Das Bühnenbild von Anne Weiler und die Kostüme von Barbara Schwarzenberger passen wunderbar zu Brandon Thomas´ Stück und zu Jürgen Lorenzens Inszenierung.


Foto © SFF Fotodesign Hof

Sympathisch

Zwei Studenten mit Hauptfach „sympathischer Taugenichts“, wunderbar kontrastierend Jörn Bregenzer als quecksilbrig agierender Jack Chesney und John Peter Altgeld als eher zögerlich-schüchterner Charles Wykeham, brauchen eine Anstandsdame für ein Stelldichein mit zwei Mädchen. Nina Machalz (Kitty Verdun) und Polina Bachmann (Amy Spettigue) sind diese beiden süßen Backfische. Beide werden vom sittenstrengen Notar Stephen Spettigue, köstlich Peter Kampschulte als johannestriebiger Stelzbock, erzogen. Als Anstandsdame wird Charles‘ Tanta Lucia auserkoren, aber die Tante kommt nicht. Mit Hilfe des Hausdieners Brassett, stocksteif, aber von rascher Auffassung Florian Bänsch, wird aus dem Kommilitonen Lord Founcourt Babberley eben schnell Charleys „Tante“ gemacht. Ralf Hocke spielt diesen Genußmenschen, Student im 33. Semester als unbedarft Naiven voller Charme und Güte. Das Studium ist eher Zeitvertreib als Berufung, das Leben eher ein Rausch als eine ernste Angelegenheit. In die Rolle der Tante gezwungen kann er sein Verhalten nicht ändern, er bleibt immer Mann durch und durch, er geht wie ein Mann, er bewegt sich wie ein Mann und er denkt wie ein Mann: zur „Dame“ wird er nur dann, wenn er in Kontakt zu den beiden Mädels kommen will. Mit seinem Aussehen als eine zivile Ausgabe von Queen Viktoria verkörpert er die untergegangene Epoche von good ol’ England. Und damit wird er zum Objekt der Begierde des oben erwähnten Rechtsanwalts Spettigue und des verarmten Vaters Jacks, Sir Francis Chesney. Jens Hollwedel spielt diesen pensionierten Indienoffizier als kommißköpfigen Familienpatriarchen, der aber durchaus bereit ist, das Mannweib zu ehelichen, um seine Familie zu retten. Vollends vertrackt wird die Situation aber erst, als die echte Tante, Anja Stange als selbstbewußt-sinnliches Prachtweib, auftaucht.


Foto © SFF Fotodesign Hof

Vom Rühmann-Muff befreit

Jürgen Lorenzen befreit mit seiner neuen Übersetzung die Tante aus den Zwängen des vorletzten Jahrhunderts. Flott, im zeitgenössischen Stil, schafft er einen quirligen, aktionsgeladenen, atemberaubenden Abend. 
Mit seiner neuen Übersetzung schafft er es, Charlies Tante vom Rühmann/Alexander-Muff der 50er und 60er Jahre zu befreien. Eine perfekte Bewegungschoreografie die alle Personen betrifft, vereint sich mit Slapstickelementen und trockenem britischen Sprachwitz. Ein grandioser Soundtrack, von Elgars „Pomp and Circumstances“, über Gibbs „Running wild“ bis hin zu Glenn Millers/ Guiseppe Verdis „Anvil Chorus“ unterstützen seine Inszenierung. Der Tango der beiden Tanten und die Rachearie aus Mozarts Zauberflöte in einer Florence Foster Jenkins würdigen Interpretation von Ralf Hocke werden nur noch getopt von Florian Bänschs Steppnummer als altersgebeugter Butler James.

Die ausgiebig beklatschte Premiere bewies wieder einmal, daß die Komödie, ja selbst die Farce, die Posse, ihren Platz auf den Bühnen unserer Zeit verdienet, wenn sie so gut gemacht und gespielt ist wie die Hofer Tante. Lorenzen verkneift sich jede Sozialkritik, läßt seinen Akteuren Raum zur Entfaltung, hat aber immer den genau plazierten Witz im Blick. Das Publikum hat es gefreut (und dem Kritiker hat es gefallen, Anm. d.Red.). Mehr davon!


Foto © SFF Fotodesign Hof

Weitere Informationen unter: www.theater-hof.com/

Redaktion: Frank Becker