"Kabarett steht immer auf der Seite der Schwachen"

Der Kabarettist Dieter Hildbrandt im Interview

von Matthias Dohmen

Foto © Günter Lintl

„Kabarett steht immer auf
der Seite der Schwachen“



Heinz Erhardt war – entgegen landläufigen Vorurteilen –
privat und unter Kollegen ein angenehmer Mensch.

Auf Altersnachsicht darf bei Dieter Hildebrandt niemand hoffen.
Und: Kabarettisten stehen immer an der Seite der Schwachen.


Dies und anderes erklärte der bekannte Kabarettist im Interview.


Welche Erinnerungen haben Sie an den Ennepe-Ruhr-Kreis? Wann sind Sie hier zum ersten Mal aufgetreten?


Dieter Hildebrandt: Natürlich gute Erinnerungen. Ich trete ja auf meinen Tourneen regelmäßig in Witten auf und war schon in den 1960er Jahren mit der Lach- und Schießgesellschaft in dieser Stadt. Außerdem ist mein Manager Axel Hegmann ein Hattinger.


Herr Hildebrandt, Bühne und Wirklichkeit: Sind Kabarettisten und Komiker auch im wahren Leben Stimmungskanonen? Oder eher Tränensäcke? Von Heinz Erhardt heißt es ja, er sei persönlich ständig angespannt und ungenießbar gewesen?


Dieter Hildebrandt: Vorsicht, wird sind nicht im Karneval, wo die Meinung der Stammtische in Reime gegossen wird. Leute, die andere zum Lachen bringen, indem sie politische Vorgänge karikieren, sind keine Stimmungskanonen, wohl aber Kabarettisten. Das ist ein ernstes Fach. Ob sie auch ihre Umgebung erheitern, hängt sicher von der Tagesform ab und um wen es sich dabei handelt. Was aber Heinz Erhardt angeht, muss ich Ihnen sagen: Mit diesem Kollegen und Marika Rökk habe ich noch als junger Kollege einen Film gedreht. Erhardt war ein zauberhafter Mensch mit viel Humor, der mir sehr geholfen hat. Der „bärbeißige Heinz Erhardt“ ist eine Legende.


Heinz Erhardt hat ja seine Sketche und Texte selbst geschrieben. Wie sieht es mit Ihnen aus: Haben Sie textlich Zuarbeiter?


Dieter Hildebrandt: Ich schreibe selbst. Jedes Wort und jede Zeile. Wie Sie wissen, steht mein


Foto © Günter Lintl
Haus in München, und unter dem Dach befindet sich mein Arbeitszimmer. Die Idee zu einem Buch und zu einem Programm kommt manchmal vom Verlag. Ich sitze dann dreieinhalb Monate an den Texten, studiere Materialien, ziehe Lexika zu Rate, schreibe, verwerfe, schreibe. Übrigens am Stück und nicht mal an diesem Gedicht und mal an jenem. Ich bin kein Dichter.


Wird man als Kabarettist altersnachsichtig? Verliert man seine Zähne?


Dieter Hildebrandt: Nein. Man nimmt an Erfahrung zu, aber nicht an der Bereitschaft, nachsichtig zu sein. Im Gegenteil: Ich werde, mittlerweile 80 geworden, immer unnachgiebiger. Es hat sich doch nichts verändert, warum sollte ich da nach- oder vorsichtiger werden? Man wird einsichtiger, gewiss, aber nicht nachsichtiger.


Und toleranter?


Dieter Hildebrandt: Toleranter schon. Ein Kabarettist muss sogar tolerant sein. Freiheit und Toleranz, das wollen wir schließlich vermitteln. Die „Süddeutsche Zeitung“ hat mich kürzlich als staatstragend bezeichnet. Das hat mir gefallen. Ich trage die Bundesrepublik als einen demokratischen Staat, in dem niemand sakrosankt ist und die Polizei rufen darf, weil sich ein Kabarettist über ihn lustig macht …


… Oder ein Comedian …


Dieter Hildebrandt: Das soll wohl etwas Neues sein, ist aber nur ein neuer Name für ein altes Fach. Früher sprach man von Variété und von Cabaret und von Conferenciers. Viele junge Comedians sind die Sendeminuten nicht wert, die sie im Fernsehen verbringen. Aber es gibt natürlich auch echte Begabungen wie Hape Kerkeling, den ich sehr mag.

Leute zu unterhalten, ist ein Beruf. Und jeder Beruf kennt seine Tricks. Einen haben sie mal verraten:


Wenn Sie ins Stottern geraten, weil Sie einen Moment nach dem nächsten Satz suchen, muss man das so machen, als sei das Holpern geplant.


Dieter Hildebrandt: Mehr verrate ich nicht. Das ist wie bei den Zauberern und Gauklern: Wenn man weiß, wie man das Kaninchen zum Verschwinden bringt oder zum Wiederauftauchen, behält man das für sich oder tauscht sich höchstens unter Kollegen aus. Haben Journalisten keine Berufsgeheimnisse?

Bestimmt. Und hoffentlich auch eine message in ihren Beiträgen, eine Botschaft.


Was ist die Botschaft in Ihrem neuen Programm?


Dieter Hildebrandt: Ich will zeigen, dass Altern schön sein kann. Älter zu werden, ist kein Makel: Was wäre die Gesellschaft ohne die Erfahrung der 50-, 60-, 70- und 80-jährigen? Und noch eine Botschaft: Lasst die Schwachen mitkommen. Ich habe mich immer auf die Seite der Benachteiligten gestellt. Deshalb habe ich mich auch, obwohl selbst kein Mitglied, in Wahlkämpfen für bayerische Sozialdemokraten engagiert, die vielleicht 18 oder 19 Prozent der Stimmen erhalten. Da gehe ich hin.


Zu den Linken?


Dieter Hildebrandt: Kabarett ist per se links. Kabarettisten verteidigen die Schwächeren, prangern


Foto © Günter Lintl
den Missbrauch von Macht an. Es darf doch nicht alles so bleiben, wie es ist. Kabarett kämpft. Nicht mit der Dampfwalze, aber mit dem Degen und mit dem Florett.


Das Interview führte Matthias Dohmen. Es erschien zuerst im EN-Magazin.


© Matthias Dohmen –  Fotos © Günter Lintl (Alle Fotos dieses Interviews zeigen wir ihnen in einer gesonderten Fotostrecke auf der Kabarett-Seite.)


Zur Person
: Dieter Hildebrandt, *23.5.1927 in Bunzlau, Niederschlesien als Sohn eines Landwirtschaftschul- Direktors, mit 16 Jahren Flakhelfer, mit 20 Jahren 1947 Abitur in Weiden/Oberpfalz. Ab 1950 Studium der Literatur- und Kunstgeschichte sowie der Theaterwissenschaften in München, Schauspielunterricht. 1955 Studenten- Kabarett mit Klaus Peter Schreiner (Die Namenlosen), 1956-1972 "Münchner Lach- und Schießgesellschaft", 1973-1979 "Notizen aus der Provinz" (ZDF), 1980-2003 "Scheibenwischer" (ARD). Zahllose Kabarett- Programme, Drehbücher, diverse Filme, u.a. "Dr. Murkes gesammeltes Schweigen" (nach H. Böll), "Wippchens charmante Scharmützel" (nach Julius Stettenheim),  "Kehraus" und "Man spricht deutsh" (beide mit Gerhard Polt und Gisela Schneeberger); vielfach ausgezeichnet. Bücher: "Was bleibt mir übrig?" (1986), "Denkzettel" (1992), "Der Anbieter" (1994), Gedächtbis auf Rädern" (1997), "Vater unser - gleich nach der Werbung" (2001), "Ausgebucht" (2004). Aktuell macht Dieter Hildebrand Schlagzeilen, weil er wie Martin Walser und Siegfried Lenz Mitglied der NSDAP gewesen sein soll.


Redaktion: Frank Becker