Sterneabend des Belcanto an der Dortmunder Oper

Gaetano Donizettis "Lucia di Lammermoor" - Ein Fest der Stimmen

von Peter Bilsing

Bildunterschrift
Lucia di Lammermoor
 
Sterneabend des Belcanto
an der Dortmunder Oper
 

3. Aufführung 13.März (PR am 5.3.)
 
Inszenierung:  Christian Pade  - Musikalische Leitung: Motonori Kobayashi - Ausstattung:  Alexander Lintl – Licht: Ralph Jürgens  - Choreinstudierung:  Granville Walker - Dramaturgie:  Daniel Schindler - Regieassistenz:  Veronika Graf - Musikalische Assistenz:  Thomas Hannig, Michael Hönes, Robin Davis, Ralf Soiron - Inspizienz:  Ulas Nagler - Soufflage: Adriana Naldoni
Besetzung: Enrico:  Simon Neal - Lucia, seine Schwester:  Christina Rümann - Edgardo:  Charles Kim - Arturo:  Fausto Reinhart - Raimondo:  Bart Driessen - Alisa:  Grit Gnauck - Normanno:  Stephan Boving
Dortmunder Philharmoniker - Opernchor des Theater Dortmund - Statisterie des Theater Dortmund
 
 
Glanzvoll mit Monitori Kobayashi und Christian Pade

Die Dortmunder Oper hat sich unter der gerade verabschiedeten Christine Mielitz zu einem der Top-Opernhäuser in NRW entwickelt. Daß es auch gelingt in der Übergangszeit zum neuen Intendanten Jens-Daniel Herzog weiterhin ganz große Oper in hoher Qualität zu produzieren, spricht für das Haus und spricht für sehr gute Ensemble-Pflege und einen positiven Geist im Theater. Mit Motonori Kobayashi, der viele Jahre als Solorepetitor und musikalischer Assistent an der Deutschen Oper am Rhein im zweiten Glied erfolgreich arbeitete, hat man einen Glücksgriff getan. Als Freund der Rheinoper (sie ist praktisch mein Heimathaus) frage ich mich, wieso man so ein Riesentalent hat gehen lassen? Ich fasse es nicht! Die Dortmunder können nun frohlocken.
 
Selten habe ich eine so konzentrierte und geschlossene Orchesterleistung gehört. Es war einer der Glanztage der Dortmunder Philharmoniker und auch der Chor unter Granville Walker präsentierte sich in bester Verfassung. Daß praktisch alle Hauptpartien dieser außergewöhnlich schwierigen Oper auch noch passend besetzt wurden, spricht für einen Sterneabend. Ich kann nicht nur den heimischen, bisher zu Hause gebliebenen Dortmunder Opernfans einen Besuch dieser großartigen Produktion ganz eng ans Herz legen, sondern würde auch für den Opernreisenden hier einen „Geheimtip“ markieren.


Foto © thomas m. jauck - stage picture
 
Schwieriges Werk spannend inszeniert

Gaetano Donizettis „Lucia di Lammermoor“ ist ein schwierig zu inszenierendes Werk, nicht nur wegen des eigentlich hanebüchenen Librettos der Unsäglichkeiten (ähnlich Verdis „Troubadour“), sondern auch wegen des recht statuarischen Inhalts, nämlich permanent herumstehender und salbadernder Männergesellschaften ohne viel Handlung. Daher wird das Werk immer öfter nur konzertant gegeben – immerhin eine Option im Zeitalter modernen Musiktheaters. Ich habe in den letzten Jahren eigentlich nur szenisch Unzureichendes gesehen, bei dem der Gähn-Faktor überwog, weil der Regisseur über eine optische Bebilderung, in welcher Zeit auch immer, nicht hinaus kam. Toffolutti scheiterte in Essen mit düsteren Natur- und Wolkenbildern genau so wie Loy in Düsseldorf mit versuchter Modernisierung. Ich erinnere mich gerade noch an eine halbwegs geglückte Inszenierung von Alexander Schulin 2003 in Krefeld.
 
Daß man diese Lucia auch kreativ und als hochgradig spannendes Musiktheater inszenieren kann, bewies Regisseur Christian Pade im Team mit Alexander Lintl (Bühne und Kostüme) – ich erwähne hier auch gerne den Beleuchtungsmeister Ralph Jürgens, der diese raffiniert konzipierte Drehbühne mit ihren beweglichen und lichtdurchlässigen Mauern und abstrakten Stell-Wänden, kongenial und in
Foto © thomas m. jauck - stage picture
tollen Perspektiven ausleuchtet. Bravo! Dabei bilden die diversen Stühle jeglicher Konvenienz eine wunderbar ironische Brechung allzu naturalistischer Bühnenoptik.
 
Bilder und Metaphern

Beim Öffnen des Vorhangs sehen wir eine imaginäre selbstleuchtende Fieberkurve, welche die Bühne horizontal durchzieht. Der Aktienkurs der Ashtons scheint im schottischen Dow Jones nicht mehr auf einen grünen Zweig zu kommen; eine Familie im Untergang. Da hilft es auch nichts, wenn man aus Langeweile im verlassenen Schloß der Ravenswood alles abschießt, was dort noch kreucht und fleucht – überwiegend die naturgeschützten Wappentiere der vertriebenen Sippe, nämlich dutzendweise Raben. Das ist böse und gemein! Aber auch ein veritabler Zwölfender, der dort Schutz suchte, wird rüde abgeknallt. Nun läßt es Lord Heinrich Ashton (Enrico) sich nicht nehmen, den Kadaver selbst blutig auszuweiden, wie es des Waidmanns Art ist.
 
Das Bild seiner blutigen Hände wird zur Metapher, denn es begegnet uns wieder wenn Lucia ihren Gatten ermordet und im finalen Selbstmord Edgars, der sich bewußt in Enricos Messer wirft und ihn schließlich als verzweifelt doppelt Schuldigen im Wahnsinn zurück läßt. Es ist schon eine tolle Geschichte, die uns dieses begnadete Regieteam da losgelöst von allzu viel schottischen Schauermärchen-Geplänkel der Ursprungsvorlage des Walter Scott (u.v.a. Ivanhoe) sehr spannungsvoll erzählt.
 
Bravi für Christina Rümann un das Ensemble

Musikalisch ist vor allem die Hauptpartie der Lucia eine der schwierigsten Gesangspartien überhaupt. Eine aufs teuflischste vertrackte Partie der Höllenschwierigkeiten; extreme Höhe, gemeinste Koloraturen und äußerste Dramatik. Selbst wer die Königin der Nacht tadellos schafft, muß nicht unbedingt bei Lucia reüssieren. Christina Rümann schafft es. Sie schafft es auf so beglückende und einsatzfreudige Art und Weise, daß der Abend alleine schon durch sie zum Erlebnis wird. Wahnsinn nicht nur ihre „Wahnsinnsszene“; sie bringt sich schonungslos (3.Vorstellung) in die Partie ein, so daß selbst der bärbeißige Kritiker sich zu „Bravo“-Rufen hinreißen läßt, obwohl er diese Fanbekundungen eigentlich wie die Pest haßt. Aber manchmal kann man nicht anders. Wahrscheinlich hielten mich die Rentnerscharen der Volksbühnen und Theatergemeinden, die man in unzähligen Bussen angekarrt hatte, für ebenso dem Wahnsinn verfallen, wie die Heldin selbst. Diese Christina Rümann gehört für mich zu den ganz großen Entdeckungen; wenn ich mich nicht sehr irre, wird ihr eine große Zukunft beschieden sein. Ich wünsche das dieser sympathischen und

Foto © thomas m. jauck - stage picture
bescheidenen Sängerin von ganzem Herzen.
 
Charles Kim, quasi der Haustenor für schwierige Partien, den ich schon für seinen Lohengrin über den grünen Klee gelobt hatte, zeigte sich auch diesem hochanspruchsvollen Belcanto gewachsen. Simon Neal, der zuletzt noch als Michele im Tabarro glänzte, fand auch hier eine Partie, die ihm auf den Leib geschneidert schien. Die Partie des Arturo (Fausto Reinhard) ist eine undankbare; kaum hat er sich wunderbar eingesungen, muß er sterben - dabei hätte man von seiner schönen Stimme noch gerne mehr gehört. Ausnahmslos von ebenso hoher Qualität boten Bart Driessen (Raimondo), Gritt Gnauck (Alisa) und Stephan Boving (Normanno) Belcanto in Scala-Qualität. Selten hörte man so ein geschlossen gutes Ensemble.
 
Bitte, liebe Opernfreund! Hinfahren, denn es lohnt sich. Ein Sterneabend des Belcanto!
 
Wichtige Nachbemerkung:
Die Aufführung war zu 90 Prozent verkauft, was für ein Riesenhaus wie Dortmund (eines der größten in NRW), bei der Konkurrenz zum kommenden Meister BVB und einer superb geführten riesigen Philharmonie (die natürlich der Oper Besucher abgräbt) ein großartiger Wert ist. Leider ist das gut geführte und vom Publikum auch überwoegend passabel besuchte Opernhaus durch unseriös veröffentlichte Statistiken ins Gerede gekommen. Die Dortmunder Oper gehört zu jenen wenigen Häusern, die quartalsmäßig ihre ungeschönten Zahlen ehrlich an die Stadt melden. Das ist für Außenstehende völlig ohne Aussagekraft, da ja z. B. ins Sommerquartal auch die Theaterferien fallen. Nicht gerade wohlmeinende oder verirrte Journalisten haben dann zum Teil Zahlen aus den Theaterferien als scheinbare Gesamtauslastung veröffentlicht. Das ist Datenmanipulation zum Schaden der Oper! Leider wird solcher Schwachsinn dann in diversen Opernforen genüßlich als Wahrheit diskutiert und so das Haus diskreditiert. So geht es nicht! „Ich glaube nur der Statistik, die ich selber gefälscht habe“, sagte einst Churchill – wie wahr. Halten Sie es, verehrte lokale und internationale Opernfreunde, bitte auch so!
 

Weitere Informationen unter: www.theaterdo.de

Redaktion: Frank Becker