Blick vom Toelleturm

Hans Werner Otto - Gott wird uns schon nicht kriegen

von Jürgen Kasten

In den Siebzigern

 
In den Siebzigern hatte Bob Dylan noch etwas zu sagen. „In den Siebzigern waren wir vaterlose Gesellen“, sagt Hans Werner Otto. Die 60er und 70er waren Dylans, seine und unsere Jahre, Jahre des Umbruchs. Die Gesellschaft und unsere eigene persönliche Welt mußte neu definiert werden. Die Schwelle zum Erwachsenwerden war überschritten. Mir mußten uns abgrenzen zu allen Altem, zum Mief der vorangegangenen Jahre.
Etliche Schriftsteller unterlegen diese Zeit des Aufbruchs mit Dylan-Zitaten. Auch für Hans Werner Otto war er ein wichtiger Impulsgeber. Einen Vers aus Dylans „Highway 61 Revisited“ stellt er seinem Roman voran: „Oh God said to Abraham, „Kill me a son“…“.
 
Mit Gott hatte der Icherzähler seinen Spaß, zumindest während seiner Zeit als Meßdiener. Später verging der Spaß und mündete in einem Kirchenaustritt. Die etwas ältere Kommilitonin, mit der unser Protagonist ein amouröses Abenteuer unterhielt, konnte das als engagierte Christin nicht gutheißen. Doch was soll´s. Es gab ja noch andere, die ihn wesentlich mehr interessierten. Zum Beispiel Ute, seine sehnlichste aber unerfüllte Liebe. Jahrelang konnte Ute sich nicht zwischen ihm und seinem besten Freund Bernhard entscheiden. Dann verschwand Bernhard urplötzlich und mit ihm die Vereinskasse des kleinen Kommunikationszentrums in Wuppertal-Langerfeld, das sie gemeinsam mit einem Freundeskreis aufbauten. Ratlos blieben sie zurück, philosophierten alleine weiter, machten und hörten Musik, begannen ein Studium oder eine Ausbildung und wurden älter, bis sie alle auseinander gingen und nicht mehr so recht verstanden, was die nachrückende Generation noch interessierte.
 
Hans Werner Otto ist ein großartiger Erzähler. Vom Leben seines Vaters läßt er seinen Protagonisten erzählen und seinem eigenen, von der Nachkriegszeit, den Sechzigern, vor allem aber den Siebzigern und ein wenig von heute. Die Familie des Icherzählers lebte und lebt in Wuppertal. Ob der Autor hier sein eigenes Werden beschreibt? Es scheint in vielen Passagen wahrscheinlich zu sein, ist aber unerheblich, denn es ist ein Roman. Leser, die in jener Zeit ähnliche Erfahrungen machten oder ihrem Lebensweg neue Richtungen geben wollten, werden begeistert sein. Ich jedenfalls war es, habe ich doch selber in jenen Jahren meine Jugend in diesem Wuppertal verbracht.
 
Ein Stück Lokalgeschichte wird lebendig, die Protagonisten des Romans versuchen sich zu finden, sich zu positionieren. Über Rituale der Kirche wird reflektiert. Zu Meßdienerzeiten machte man sich nur lustig, jetzt wird ernsthaft nachgefragt: „Und wie soll man mit jemanden reden, auf dem man herumkaut (als Hostie)? Trotzdem versuchte ich es. Aber dann wußte ich nie so recht, mit wem, ob nur mit Jesus oder auch Gottvater oder dem Heiligen Geist oder allen dreien zugleich. Die drei antworteten nie. Keiner von ihnen. Nicht mal Jesus, der doch wohl Mensch war und das eigentlich können müßte. Er läßt uns reden und reden und sagt nie selbst was. Nur Don Camillo, dem sagte er was. Mir sagte er nichts.“
Jahrzehnte später, ganz zum Schluß der Geschichte, steht der Erzähler noch einmal auf der Aussichtsplattform des Toelleturms, dort wo seinerzeit das letzte Gespräch mit seinem Freund Bernhard stattfand, bevor er ihn in Richtung Süden davon fliegen wähnte - und er schaut über die Stadt und versucht die Jahre wiederzufinden. Die Aufsichtsperson ermahnt ihn zum Abstieg, denn schließlich habe der Herr ja keinen Besichtigungstermin gebucht. „Der Herr kommt ja schon runter, sage ich“. Ein großartiger Schlußsatz als Kontrapunkt zum Romantitel.
Hans Werner Ottos Sprachfluß und seine Erzählweise verzaubern einfach. Wenn Sie sich dieses Werk entgehen lassen, sind Sie selber daran schuld.
 
 
Hans Werner Otto - Gott wird uns schon nicht kriegen
© 2010 Hans Werner Otto und NordPark Verlag, Wuppertal
Broschur, 253 Seiten, ISBN: 978-3-935421-65-2
€ 16,00
 
Weitere Informationen: www.nordpark-verlag.de

Redaktion: Frank Becker