Musikstunde

Frühling läßt sein blaues Band... - Die Musik und das Frühjahr (Teil 3)

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker
Konrad Beikircher
Musikstunde
 

Frühling läßt sein blaues Band...
Die Musik und das Frühjahr
(Teil 3)



 
Gestern hat der Frühling bei mir mit seinem kalendarischen Beginn erste Hoffnung geweckt. Aber er hatte nix dabei. Hier also (ich hab´s Ihnen ja versprochen): Mörike, der schwäbische Geistliche, ist so ein Fall. Und nun hören Sie sich das doch mal an.
Aber bevor Sie zuhören: atmen Sie durch, seien Sie nicht erbost, Mörike hatte Humor und hätte sicher Spaß gehabt an einer kleinen Verballhornung wie dieser:
 
"Frühling läßt sein blaues Band
wieder flattern durch die Lüfte;
süße, wohlbekannte Düfte
streifen ahnungsvoll das Land.
 
Veilchen träumen schon,
wollen balde kommen.
- Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bists!
Dich hab ich vernommen!"
 
Ich bitte Sie, was soll das? Der Frühling und ein Band haben! Haben Sie so was schon mal gehört? Als wär der Frühling irgendwer: Jakob Frühling, Solinger Straße 7, 5401 Dingenskirchen, besondere Kennzeichen: trägt Band! 
Und als habe der Frühling - gäbe es ihn denn so personifiziert - ein blaues Band zur Hand, das er dann durch die Lüfte flattern läßt. Was eine verquaste Phantasterei! Im Frühling hat jeder, wie man weiß, andere Sorgen, als irgendwelche Bänder durch die Lüfte flattern zu lassen:  da ist man der Ehefrau müde und schaut sich schon mal nach was Neuem um, da scheint die Tochter das Abi doch nicht zu schaffen, da ist das Urlaubsziel immer noch nicht klar: die Frau will nach Dänemark wegen des Hundes, die Kinder wollen nach Ibiza discotechnisch und man selbst möchte am liebsten im Bett bleiben, da ist die Frage nach dem neuen Anstrich fürs Haus noch nicht geklärt, da muß man sich um den Bonsai-Asylanten in der Familie noch kümmern, die Perserkatze: abschieben oder doch durchfüttern lassen?, da muß man den Rasenmäher wieder aus dem Winterschlaf reißen und dergleichen wichtige Fragen mehr - und da läßt dieser Pfarrer aus Schwaben seine blauen Bänder flattern!
Der einzig sinnvolle Satz in diesem Gelaber ist: "süße, wohlbekannte Düfte streifen ahnungsvoll das Land" .
Allerdings, Herr Mörike, schön, daß es damals auch schon Gülle gab, kann unsereins ein Lied von singen und: diese Düfte streifen nicht nur das Land, die liegen einem wie ein Alb aus der Sickergrube auf der Brust! Ein Glück, daß das Fenster schon erfunden ist, so kann man es mindestens zumachen und hat zu Hause die Nase frei.
Und dann quast es gnadenlos weiter:
"Veilchen träumen schon, wollen balde kommen".
Was soll das denn?
Ein Veilchen haue ich, zum Beispiel, Herrn Meier von nebenan, wenn der nicht bald auf Elektromäher umstellt, der Krach ist ja nicht auszuhalten, und Veilchen träumen nicht, ist das klar?! Und daß Veilchen balde kommen wollen - also ich weiß es nicht!
Und dann der ganze Mist mit Harfentönen und Frühling, ja, Du seiest es und, Frühling, Dich hätte ich vernommen.
Also solche gebundenen Reden sind widernatürlich, unvernünftig und dienen nichts anderem, als der Verdummung der Kinder und des Volkes. Was sollen denn die Schüler denken? Daß jetzt immer im Mai irgendein Depp mit blauen Bändern kommt und wenn er nicht kommt ist der Frühling gestrichen oder was? Oder ist das blaue Band der blaue Brief, Albtraum aller Eltern, deren Kinder in feine Schulen gehen?
Der Frühling, werter Herr Mörike, kommt bänder- und schnurlos, wie die Teile von der Telekom, die man so lange sucht, bis man doch lieber einen Brief schreibt.
Er schießt einem höchstens in die Bandscheiben, falls man es im Rücken hat, mit seiner warmen Feuchtigkeit, die einen dazu verführt, zu leicht bekleidet Wäldchen aufzusuchen in der Hoffnung, irgendeine Tussi aufzugabeln, der man dort solche Gereimtheiten vorliest, damit es im Dezember dann zu familiären Ungereimtheiten kommt.
Also, Herr Mörike,  lassen Sie gefälligst solche  Albernheiten. Ach so, der ist schon tot. Sehen Sie, das kommt davon.
 
Am 5. Mai, sieben Tage vor ihrem hundertsten Geburtstag, ist sie gestorben, die große Giulietta Simionato. Als ich sie das erste Mal auf Schallplatte gehört hatte, war ich zwölf oder dreizehn Jahre alt. Sie sang die Amneris aus der Aida und ich mußte weinen ohne zu wissen, warum. Ihre Stimme drang mir in die Seele, ins Herz, ins Gemüt und ist bis heute da drin geblieben. Ihre Tiefen sind unerreicht, ihr Samt hat mein ganzes Innenleben ausgestattet und ich bin bestimmt nicht der einzige auf der Welt, den sie so beschenkt hat. Ich habe sie in Wien an der Staatsoper als Azucena im trovatore gesehen und gehört und lag im Schlußapplaus wildfremden Männern in den Armen, alle hatten Tränen der Begeisterung und der Liebe in den Augen. Fragte mich ein Außerirdischer nach der Stimme der menschlichen Frau, ich würde ihren Namen nennen. Ihr messa di voce war legendär, ihre Tiefen unglaublich (selbst Christa Ludwig hat das nie erreicht!), und ihre Stimmtechnik von einer anderen Welt. Sie wissen natürlich, daß sie überall auf der Welt gesungen hat, daß sie sich im Alter für notleidende Kolleginnen und Kollegen eingesetzt hat, ganz im Sinne von Giuseppe Verdi und daß sie eine der letzten ganz ganz Großen der Oper war. Ihr gebührt ein Platz neben der Callas, der Schwarzkopf, der Supervia, von der Patti, der Melba, der Malibran ganz zu schweigen. Keine Worte können aber ihre Stimme wirklich beschreiben. Hören wir Giulietta Simionato in einer ihrer ganz großen Rollen: Azucena, Il Trovatore, Stride la vampa
 
 
Ach, jetzt hätte ich noch so viel sagen wollen zum Frühling, zum Mai, und schon ist die Zeit vorbei, schad. Ich danke Ihnen fürs Einschalten meiner Kolumne und gehe mit Klavierklängen, denn: der Vormittag, speziell am Dienstagmorgen nach Frühlingsbeginn, gehört dem Klavier, zumindest bei uns war das immer so: mein älterer Bruder Hugo setzte sich ab 9 an den Flügel. Stundenlang konnte ich ihm zuhören, so schön war das. Durch ihn habe ich ab meinem dritten Lebensjahr die Klavierliteratur kennen gelernt, von Kuhlau, Heller und Clementi über Bach bis Busoni, den man ohne Orthopäden und Fingerchirurgen nicht spielen sollte wegen erhöhter Verletzungsgefahr. Und über allem schwebte für mich der Zauber des italienischen Konzerts von Johann Sebastian Bach, für mich eine der schönsten Musiken, die je für Klavier geschrieben worden ist.   Mögen Sie ein Stück hören? Damit aus diesem Morgen ein heller, leichter, wunderschöner Flug wird.

 Ich grüße Sie herzlichst als
 Ihr
Konrad Beikircher



© Konrad Beikircher - Erste Veröffentlichung in dieser Form in den Musenblättern 2011
Redaktion: Frank Becker