Frieda und der Frühling

von Hanns Dieter Hüsch

© Jürgen Pankarz
Frieda und der Frühling
 
Meine Frieda, mit ie, damit keine Verwechslungen vorkommen, liebt den Frühling, man kann wohl sagen, sehr und innig.
 
Ich dagegen stehe meist um diese Jahreszeit am Fenster und schaue hinaus auf Land und Flur. Und wie ich da so träumlings stehe, wie ja Männer manchmal so träumlings dastehen, Hände in den Taschen, anwesend und doch abwesend, da kommt meine Frieda auf mich zugestürzt und fragt: „An was denkst du jetzt?“ „Das ist schwer zu sagen, meine Liebe, ich denke, ich, öh… ich mache dir einen Vorschlag, ich denke an den Frühling, was hältst du davon?“
„Das heißt also", sagt die Frieda, „daß du mir nicht sagen willst, an was du wirklich denkst.“ „Ich sage dir ja", antworte ich, „es ist ein Vorschlag, wir beide denken jetzt an den Frühling.“ „Hm“, sagt die Frieda, „ich will aber erst wissen, was du vorher gedacht hast.“
„Das weiß ich nicht mehr“, sage ich. „Soso“, sagt die Frieda, „das ist ja sehr bedenklich, du guckst zum Fenster hinaus und denkst an nichts, das kannst du mir nicht weismachen.“ „Moment”, erwidere ich, „ich habe gesagt, daß ich es nicht mehr weiß, an was ich gedacht habe, das ist ein Unterschied.“
„Also gut“, sagt die Frieda, „Schwamm drüber, ich nehme deinen Vorschlag an, daß wir jetzt an den Frühling denken, fang du an!“ Ich sage: „Was kommt eigentlich im Frühling alles so zum Vorschein, was bringt der Frühling alles an den Tag?“

Primeln", sagt die Frieda. „Das geht auf mich, oder?“ „Wie man’s nimmt“, sagt die Frieda.  „Hm“, sage ich, „Primeln sind, soviel ich weiß, Himmelsschlüssel.“ „Ihr Männer seid doch ein eingebildetes Volk“, sagt die Frieda. „Ich bin eine eingebildete Schlüsselblume, stehe in Wald und Wiese und habe zahlreiche Zierformen, es ist schlimm, von der Pike auf eine Primel zu sein.“
„Das glaub' ich dir gern“, sagt die Frieda, „und ich bin das berüchtigte Mauerblümchen, stehe in deinem Schatten und habe nichts zu sagen.“ „Das stimmt nicht“, sage ich, „du bist die Primeldonna, einverstanden?“ „Was bleibt mir denn anderes übrig“, sagt die Frieda.  „Vielleicht finden wir noch etwas Besseres“, sage ich, „Anemonen sind jetzt auch sehr im Kommen, stehen auch im Wald und sind giftig. Ich finde, das paßt zu dir wie die Butterfly zum Kimono.“ „Bin ich so giftig?“, fragt die Frieda. „Bin ich Puccini“, sage ich, „ja, wäre ich Puccini, so würde ich dich Anemone nennen, das klingt wie Honig mit Tremolo.“ „Laß die Musik aus dem Spiel“, sagt die Frieda. „Na, schön“, sage ich, „Aber du mußt doch zugeben..." „lch muß nichts zugeben", sagt die Frieda. „Aber du mußt doch zugeben“, sage ich, „daß du ein ausgesprochenes Buschwindröschen bist.“ „Was ist denn das schon wieder“, fragt die Frieda. „Buschwindröschen, das sind Anemonen“, sage ich. „In Botanik war ich immer obenauf. Diese Röschen blühen weiß bis rosa. Was hast du lieber, weiß oder rosa?“ „Ich werd' mir’s überlegen“, sagt die Frieda. „Der Frühling ist kurz“, sage ich, „das Leben geht weiter, die Liebe ist zuweilen kompliziert, da kann man nichts machen.“ „War es das etwa, woran du vorhin gedacht hast?“ fragt die Frieda. „Gib mir einen Kro-kuss“, sage ich.  „Was krieg' ich dafür?“, antwortet die Frieda. „Ich werde dich mit Anemonen überschütten, du Hahnenfußgewächs.“ „Ist das alles?“ sagt die Frieda. „Dann werden wir nicht einig.“

A propos Frühling“, sage ich, „Krokusse, oder heißt es Kroküsse?“ „Ich höre nicht zu“, erwidert die Frieda. „Also, Kroküsse“, sage ich, „haben oft violette Blüten; Violett macht mich melancholisch.“ „Deshalb guckst du wohl immer zum Fenster hinaus.“ „Ich bin eben ein Naturbursche“, sage ich, „und wenn Feld und Au zu grünen beginnen, überfällt mich das große Staunen. Ich habe schon Schneeglöckchen gesehen.“ „Ich habe schon welche gehört“, sagt die Frieda. „Ich habe schon welche in der Hand gehabt“, sage ich. „Haben sie geklungen?“ „Ich hab’s nicht probiert“, sage ich, „man soll’s nicht übertreiben, es sind Zwiebelgewächse, und wenn ich die läuten höre, schießen mir die Tränen aus dem Kopf, und das tut nicht gut.“ „Armer Botaniker“, sagt die Frieda. „Du, zum Beispiel, bist auch so ein Schneeglöckchen.“ „Ach nee“, sagt die Frieda. „Du bist ein Weidenkätzchen.“ „Auch das noch“, sagt die Frieda. „Ein Augen-Weidenkatzchen.“ „Ich danke für Obst“, sagt die Frieda, „Aber damit lockst du kein Kücken hinter dem Ofen hervor.“ „Darum geht’s nicht.“ „Du spinnst“, sagt die Frieda. 
 „Dann bin ich auf dem richtigen Wege“, sage ich. „Ich habe den Frühling, der Frühling hat mich, schlingt Forsythien um mein Haupt… - gelb blühender Zierstrauch aus Ostasien, dem Flieder verwandt!“

Seit wann dichtest du?“ fragt die Frieda. „Seit ich dich kenne“, antworte ich, „bei Shakespeare, seit ich dich kenne.“ „Aber sonst geht’s dir gut?“ „Und wie“, sage ich. „Such doch nicht immer in den Primeln herum, sei ein Veilchen, ein blauviolettes Veilchen, sei ein blauer Anemontag; ich kauf dir auch Gänseblumchen, einen Korb voll, na?“ „Gut“, sagt die Frieda, „aber ...“ „Was aber?“ „Erst mußt du mir sagen, was du gedacht hast, als du so am Fenster standst, vorhin.“ „Also, da, öh … Muß das sein? Also, ich habe da gedacht, Frühling, komm mir nicht zu nahe.“ „Ich glaube dir kein \/\/ort“, sagt die Frieda. „Ich habe gedacht, daß es schön ist, an nichts zu denken, verstehst du, ich kaufe dir zwei Körbe voll Gänseblümchen, ich pflücke sie selbst.“
„Ich danke schön“, sagt die Frieda, „ich verzichte auf deinen Frühling.“
 
Und die Frieda geht aus dem Zimmer und … und ich denke, was ich vorhin gedacht habe, ich denke, wie viele Frühlinge, oder man sagt wohl, Lenze, wir noch gemeinsam erleben oder nicht erleben werden. Das mußte mal gedacht werden. Weiter nichts.




© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung
in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Die Zeichnung stellte freundlicherweise Jürgen Pankarz zur Verfügung