Phantasiestürme

Günther Kaip - "Im Fahrtwind"

von Helmuth Schönauer
Im Fahrtwind
 
Im Fahrtwind stellen sich Frisuren oft zu merkwürdigen Gebilden auf, Gesichter verzerren sich zu einem schlüpfrigen Grinsen und manchmal stehen Teile ab, die sonst nicht wahrgenommen werden.
 
Günter Kaip stellt seine Geschichten mit voller Brust in den Fahrtwind, wir erkennen ihre Struktur und freuen uns über diese Deformierungen, die dabei entstehen. Gleich zu Beginn einmal wird aus Versehen eine Nacht gegessen, im Fahrtwind der Zeit sind offensichtlich die Bewegungen einer Jause mit den Handgriffen eine Verpackung übers Kreuz gekommen, so daß die Nacht tatsächlich in Streifen geschnitten wird wie ein Stück Speck und sich auf Stoffballen gebannt aufmacht ins Ungewisse.
 
In zehn satten Kapiteln werden diese Miniaturen präsentiert, oft nennen sie im Titel alles, manchmal drehen sie sich in einer ungewohnten Volte nach dem Wind.
 
„In der Wirklichkeit. Es befindet sich ein junger Mann in der Wirklichkeit. Das ist sehr glaubhaft. Auch diese junge Frau dort befindet sich in der Wirklichkeit – warum sollte man das nicht glauben. Die Wirklichkeit ist an den Enden leicht nach oben gewellt, was viele in ihr bleiben läßt, ob sie wollen oder nicht – oder weil sie zu faul und ängstlich sind, über die Grenzen zu gehen.“ (112)
 
Mag der Titel auch eine handfeste Erwartung erwecken, schon mit den ersten Satzschwüngen löst sich diese Vorstellung auf und setzt sich ungewohnt ins Bild. „Wir gingen alle ins Leben hinaus“ (48), heißt es einmal recht erwartungsvoll und es stellt sich heraus, daß es nur darum geht, ausgewählte Kleidungsstücke feierlich herumzutragen.
 
Der Wechsel von abstrakten Gebilden hin zu handfesten Handlungen, das jähe Umschwenken einer Banalität in einen heroischen Gestus oder das bloße Sinnieren entlang der Kante eines Gegenstandes machen diese Miniaturen multidimensional wie vom Fahrtwind aufgemotzt.
 
Tatsachen, Gefühle, eine Handvoll Salz, die angesparte Ewigkeit – wenn man die Überschriften hinunter scrollt tun sich schon ganze Gebirge von Geschichten auf, fein zusammengeschliffen wie seltene Mineralien in der zeitlosen Witterung.
 
Günter Kaip erzählt in seiner Knappheit äußerst üppig, indem er beim Leser ungeahnte Phantasiestürme auslöst. Winzigkeiten können ein Empfindungsgewitter auslösen, der Vordergrund sich im Hintergrund auflösen, der Text kann zu einem dünnen durchsichtigen Gewebe werden, das in Schlieren sich selbst trägt. Und jäh kann eine Erzähl-Bö einsetzen und alles vertragen. – Diesem Fahrtwind setzt man sich als Leser gerne aus und freut sich, wenn die eigene Frisur zu Berge steht wie eine Kaip‘sche Textur.
 
 
Günther Kaip: Im Fahrtwind. Miniaturen.
© 2010 Klver Verlag, Wien, 128 Seiten. EUR 15,90. ISBN 978-3-902665-15-7 Günther Kaip, geb. 1960 in Linz, lebt seit 1991 als freier Autor in Wien.
 
Weitere Informationen unter: www.klever-verlag.com


Veröffentlichung in Zusammenarbeit mit der in Bozen erscheinenden Zeitschrift "kulturelemente"