Geld oder Wahrheit!

"Die Dummheit" von Rafael Spregelburd in der Wuppertaler Inszenierung von Christian von Treskow

von Daniel Diekhans

Foto © Frank Becker
Geld oder Wahrheit!
 
„Die Dummheit. Teil IV der Heptalogie
des Hieronymus Bosch“.
Schauspiel von Rafael Spregelburd
 
Inszenierung: Christian von Treskow - Ausstattung: Kristina Böcher - Musik: Jens-Uwe Beyer - Fotos: Uwe Stratmann
Besetzung: Laetitia Hanon, Emma Toogood, Jane Pockett, Berta Wilkinson (Sophie Basse) – Veronica Aldgate, Ivy Posgate, Maggie Dorset, Flo Cohen, Susan Price (Maresa Lühle) – Robert Finnegan, Martin Stacey-Waddy, Officer Zielinsky, Lee Okazu Buckley, Carlo Bonelli (Lutz Wessel) – Brad Finnegan, Ken Lemon, Officer Wilcox, John Posgate, Mr. Bancroft (Hendrik Vogt) – Richard Troy, Ralph Dorset, Officer Davis, Donnie Crabtree, Lino Venutti (Holger Kraft)
 
 
Christian von Treskow setzt für „Die Dummheit“ auf fünf Verwandlungskünstler und gewinnt
 
Maresa Lühle sieht schrecklich aus. Erschöpft sitzt sie im Rollstuhl, das Gesicht mit Kunstblut verschmiert, die Perücke zerzaust. Als Ivy Posgate erleidet sie in der Wuppertaler Inszenierung der Komödie „Die Dummheit“ eine Demütigung nach der anderen. Gelähmt und stumm, ist sie den Schikanen ihres sadistischen Bruders John hilflos ausgeliefert. Von den skrupellosen Kunsthändlern Troy und Toogood, die auf der Suche nach ergaunertem Geld sind, wird sie überfallen und mißhandelt. Die größte Demütigung steht Ivy freilich noch bevor. Als einzige könnte sie den Millionenbetrug der beiden Kunsthändler ans Licht bringen und dadurch endlich aus ihrem Schattendasein heraustreten. Doch die Polizisten, die sie befragen, können oder wollen ihre Gebärdensprache nicht verstehen. Schlimmer noch, am Ende machen sie sich lustig über Ivys verzweifelte Verständigungsversuche.
Was aber macht das Publikum? Es lacht aus vollem Halse. Erst wenn das Gelächter verebbt, wird sich mancher Zuschauer fragen, ob er eher über die dummen Polizisten oder über das Opfer ihrer Dummheit lacht. Und vielleicht wird er sich ertappt fühlen und erkennen, wie nahe ihm die Figuren des Stücks tatsächlich stehen.
 
Im amerikanischen Nirgendwo
 
Das Geschehen um Ivy Posgate ist nur einer von mehreren Handlungssträngen, die in „Die Dummheit“ zunächst parallel laufen und sich dann – in Anlehnung an Robert Altmans „Short Cuts“ – virtuos miteinander verknüpfen. Alle Handlungen sind in den tristen Vorstädten von Las Vegas mit ihren anonymen Highwaymotels situiert. Dieser Gesichtslosigkeit entspricht das einheitlich weiße Hotelzimmer mit kleinem Bad und Minibar, das Bühnenbildnerin Kristina Böcher auf die Bühne des Kleinen Schauspielhauses stellt. Eine ideale Projektionsfläche im doppelten Sinn, denn einerseits wechselt die Handlung tatsächlich nur von einem Motel zum nächsten und andererseits lassen sich auf den kleinen weißen Raum weite Wüstenlandschaften projizieren – zum Schluß des Stücks sogar ein Abspann in Schwarz-Weiß als Hommage an den Hollywoodfilm.
 
Der Tanz ums Goldene Kalb
 
Natürlich ist die räumliche Nähe zum amerikanischen Mekka der Glücksspieler vom Autor Spregelburd bewußt gewählt. Sein Stück illustriert auf ebenso anschauliche wie komische Weise das Sprichwort “Money talks, truth only whispers!”. Mit Ausnahme von Ivy, die durch ihre zweifache Behinderung außen vor bleibt, sind alle Figuren eifrig darum bemüht, entweder an Geld zu kommen oder es zu behalten. Da sind die drei korrupten Polizisten, die unterschlagenes Geld geradezu zwanghaft ausgeben müssen. Da ist die skurrile Spielergemeinschaft, die beim Roulette statt dem großen Geld jeden Abend nur 151 Dollar gewinnt. Den Kunsthändlern Troy und Toogood geht es ganz so wie ihren Kunden nicht um Kunst, sondern um das Kapital, das man daraus schlagen kann. Ihr fast vollständig verblichenes Gemälde, das sie als „neo-modernes“ Meisterwerk ausgeben, erinnert an das monochrome Bild in Yasmina Rezas „Kunst“.


Lutz Wessel, Holger Kraft, Hendrik Vogt, Maresa Lühle (v.l.n.r.) - Foto © Uwe Stratmann 
Selbst der idealistische Wissenschaftler Robert Finnegan kann sich dem hektischen Tanz um das Goldene Kalb nicht entziehen, obwohl er deutlich vor Augen hat, wohin die große Gier führt: „Wir leben in Zeiten enormer Dummheit!“ So will er denn auch ursprünglich seine Lösung der berühmten Lorenz’schen Gleichung um keinen Preis veröffentlichen, weil er die Welt noch nicht reif dafür hält. Doch die prekäre Lage seines Sohnes, der ebenso gefährlichen wie falschen Mafiosi Geld schuldet, zwingt ihn zum Umdenken. Als er seine Erkenntnisse schließlich in die Öffentlichkeit bringt, ist diesen ein ähnliches Schicksal beschieden wie Ivys Wahrheiten. Denn das Geld hat das große Wort …
 
Verwandlungskünstler
 
Rafael Spregelburd hat seinen Bilderbogen nach Hieronymus Bosch mit einem wunderbar bunten Figurenensemble bevölkert. Christian von Treskow vertraut die zwei dutzend Rollen zwei Schauspielerinnen und drei Schauspielern an. Das Ergebnis ist großartig. Dank der Professionalität von Maresa Lühle, Sophie Basse, Lutz Wessel, Holger Kraft, Hendrik Vogt gelingt noch der schnellste Kostüm- und Rollenwechsel. Selbst wenn gegen Ende der fast dreistündigen Inszenierung die eine oder andere Perücke schief sitzt oder ein Schnurrbart halb von der Oberlippe absteht, stört dies kein bißchen die Illusion, es hier mit weit mehr als fünf Spielern zu tun zu haben. Neben Maresa Lühle glänzt besonders Lutz Wessel durch seine Darstellung des japanischen Geschäftmanns Lee Okazu Buckley, die das Romanklischee des geheimnisvollen Asiaten auf die groteske Spitze treibt.
 
Mit „Die Dummheit“ hat Regisseur von Treskow nach „Eine Billion Dollar“ und „Der Kirschgarten“ dem großen Thema „Geld“ eine weitere gelungene Inszenierung gewidmet. Gelungen auch deshalb, weil das Stück Wahrheiten ausspricht, die bei Diskussionen ökonomischer Natur keinen Platz haben – auch auf das Risiko hin, daß
dem Zuschauer mitunter das Lachen im Halse stecken bleibt.
 
Weitere Informationen unter: www.wuppertaler-buehnen.de
 
Redaktion: Frank Becker