„Mahagonny“ von Brecht/Weill in Köln

Katharina Thalbach erzählt packend vom Aufstieg und Fall einer Musterstadt

von Daniel Diekhans

Matthias Klink, Regina Richter - Foto © Paul Leclaire
Mahagonny gegen Mahoney
 
„Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“
Oper in drei Akten. Text von Bertolt Brecht.
Musik von Kurt Weill
 
Musikalische Leitung: Lothar Koenigs - Inszenierung: Katharina Thalbach - Bühne: Momme Röhrbein - Kostüme: Angelika Rieck - Choreographie: Danny Costello - Fotos: Paul Leclaire
Besetzung: Leokadja Begbick (Dalia Schaechter) – Fatty, der „Prokurist“ (Martin Koch) – Dreieinigkeitsmoses (Denis Wilgenhof) – Jenny (Regina Richter) – Jim Mahoney (Matthias Klink) – Jack O’Brien (John Heuzenroeder) – Bill (Miljenko Turk) – Joe (Wolf Matthias Friedrich) – Tobby Higgins (Alexander Fedin) – 6 Mädchen (Delphine Guévar, Carla Hussong, Aikaterini Koufochristou, Caterina Maier, Ruth Volpert, Mine Yücel) – Das schwangere Mädchen (Anne Simmering)
Chor der Oper Köln; Gürzenich-Orchester Köln
 
 
Katharina Thalbach erzählt in Köln packend vom Aufstieg und Fall einer Musterstadt
 
Auch wenn es nur Theater ist – den Zuschauer drückt es förmlich in seinen Sitz. Wo eben noch die Leute von Mahagonny friedlich vor der Mandalay-Bar saßen, fegt jetzt ein Hurrikan aus der Windmaschine über die sich verdunkelnde Kölner Opernbühne. Papier wirbelt auf, die Menschen ducken sich und suchen verzweifelt Schutz. Auf den Videoleinwänden links und rechts der Bühne bebt die Erde, brechen Vulkane aus und dann erscheint der Tsunami, wie er die japanische Küste verwüstet. Ein Bild, an dem wohl niemand in den letzten Wochen vorbeikam. Die Bilder der menschengemachten Katastrophe, die dem Tsunami folgte, müssen gar nicht mehr gezeigt werden. Man trägt sie im Kopf mit sich herum. Während der Chor Durchhalteparolen wie „Haltet euch aufrecht, fürchtet euch nicht!“ ausgibt, fährt Jim Mahoney dazwischen: „Wir brauchen keinen Hurrikan/ Wir brauchen keinen Taifun/ Denn was er an Schrecken tun kann/ Das können wir selber tun.“


Matthias Kling, Die sechs Mädchen, Regina Richter - Foto © Paul Leclaire
 
Katastrophenkomik
 
Mit dem drohenden Hurrikan erreicht die Oper ihren Höhepunkt. Die Nachbarstädte, in denen „die Gerechten mit den Ungerechten untergehen“, werden dem Erdboden gleichgemacht. Mahagonny, das moderne Sündenbabel, in dem Gauner und Huren den Ton angeben, wird hingegen verschont: Der Sturm macht einen weiten Bogen um die „Stadt der Freude“, als wolle er mit ihr nichts zu schaffen haben. Diese „wunderbare Lösung“ parodiert gekonnt die Unwahrscheinlichkeiten und logischen Brüche der traditionellen Oper. Doch diesem dramaturgischen Kniff zum Trotz ist kein Happy End in Sicht. Vielmehr ist die Katastrophe nur aufgeschoben. Daß ihr ausgerechnet Jim Mahoney zum Opfer fällt, ist da eine besonders perfide Ironie. Denn er erkennt als erster, daß menschliches Handeln verheerender sein kann als jede Naturgewalt.
 
Die Opfer des „Goldenen Zeitalters“
 
Doch Jims Erleuchtung wird abgelöst und überdeckt von einer anderen Erkenntnis: „Denn da es einen Hurrikan gibt/ Drum können wir alles tun.“ Die Puffmutter Begbick, Herrin der Stadt, greift diesen Gedanken begierig auf und macht daraus ein lukratives Geschäftsmodell. Für diese neue Zeit, die nun anbricht, hat Momme Röhrbein ein geniales Bühnenbild geschaffen: Ein Schiffswrack, das aus dem Wüstensand ragt, wird zur endgültigen Heimstatt der Mahagonny-Leute. Auf diesem rostzerfressenen Ungetüm – einer Mischung aus havariertem Öltanker und Titanic – ist alles erlaubt: Brot und Spiele, käufliche Liebe, Alkohol – solange man es denn bezahlen kann. Schon bald aber fordert diese Konsumfreude ihre ersten Opfer. Jack O’Brien frißt sich buchstäblich zu Tode, Alaskawolf-Joe wird bei einem unfairen Boxkampf von Begbicks Kumpan Dreieinigkeitsmoses erschlagen. Nach seinen alten Freunden geht es nun auch dem Propheten der Freizügigkeit an den Kragen. Völlig abgebrannt gerät Jim Mahoney in Schuldhaft. Sogar seine große Liebe Jenny läßt ihn im Stich. Unter Vorsitz der Begbick wird er in einem spektakulären Schauprozeß zum Tode verurteilt „wegen Mangel an Geld/ Was das größte Verbrechen ist“. Doch nicht zufällig reimt sich Mahoney auf Mahagonny. Seine persönliche Katastrophe ist nur Auftakt zum Untergang der ganzen Stadt. Wieder verdüstert sich der Bühnenhimmel, als drohte die Rückkehr des Hurrikans. Und wenn neben Jims Leiche die Inschrift „Für den Fortbestand des Goldenen Zeitalters“ aufleuchtet, so ist sie Ausdruck der Hilflosigkeit wie der Abgesang des Chors: „Können einem toten Mann keine Vorschriften machen […] Können uns und euch und niemand helfen.“


Foto © Paul Leclaire
 
Schmuddelige Kulinarik
 
„Doch am schlimmsten ist der Mensch!“ Diesen Gedanken der Begbick macht sich Regisseurin Katharina Thalbach zu eigen. In ihrer Inszenierung wächst Mahagonny, die kapitalistische Musterstadt, aus einer Wüste empor, die einmal ein Meer gewesen ist. Assoziationen zum verödeten Aralsee stellen sich fast zwangsläufig ein. Die menschengemachte Katastrophe ist also von Anfang an auf der Bühne präsent.
Die große Leistung Thalbachs besteht nun darin, trotz dieser katastrophischen Ausgangssituation die Komik der „Mahagonny“-Oper voll auszuspielen. Übertrieben geschminkt und in oft knallbunten Kostümen agiert das Ensemble wie eine große Truppe Clowns. Herausragend ist Matthias Klink als gerissener und zugleich herrlich naiver Jim Mahoney. Seinen Leidensweg singt er mit gebotener Dringlichkeit, während er die Duette mit Mezzosopranistin Regina Richter wunderbar zart anlegt.

Anne Simmering - Foto © Paul Leclaire
Dalia Schaechter ist seine ebenbürtige Gegenspielerin. Meisterhaft gestaltet sie noch die feinsten Übergänge zwischen Sprechgesang und Operndiktion. Ihre Witwe Begbick hantiert gern mit Kreuz und Gebetbuch und denkt dabei doch nur an das Eine - den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen. Auf höchstem Niveau interpretiert auch das Gürzenich-Orchester die schmuddelige Kulinarik der Weill’schen Musik. Selbst in den schrägen Verballhornungen von Jazz, Schlagern oder gar Bach-artigen Fugen verliert sie nichts von ihrer Direktheit. Schließlich nimmt sich Thalbach die Freiheit und stellt mit dem schwangeren Mädchen eine Hoffnungsträgerin auf die Bühne. Auch wenn sie im Maschinenraum des Tankers „Mahagonny“ eine Randexistenz fristet, spielt sie doch eine große Rolle. Dem todbringenden Hurrikan zum Trotz bringt sie ihr Kind zur Welt, und als Jim Mahoney vor Gericht steht, ergreift sie als einzige für ihn Partei. Ihr Kind gehört zu den „Nachgeborenen“ der Katastrophen, an die sich Brecht in seinem berühmten Gedicht wendet: „Ihr aber, wenn es so weit sein wird […]/ Gedenkt unserer/ Mit Nachsicht.“
 
Weitere Informationen unter: www.operkoeln.com