Innenwelten, spürbar gemacht

„Swallow me whole“ nach Motiven des Graphic Novel von Nate Powell

von Martin Hagemeyer

Foto © Frank Becker
Innenwelten, spürbar gemacht
 
Der Jugendclub der Wuppertaler Bühnen zeigt
"Swallow me whole"
nach Motiven des Graphic Novel von Nate Powell.
 
 
 
Inszenierung/Ausstattung: Markus Höller – Dramaturgie: Miriam Rösch – Regieassistenz: Jasmin Bretz
Besetzung: Lucie Ax, Valery Bihina, Jaap Bräutigam, Charlotte Eben, Ragna Gerhardt, Maraija Glasmacher, Julia Groß, Karlotta Harlan, Madita Kretschmer, Marie-Julie Knappertsbusch, Jascha Markuse, Roland Ngimbi, Laura Schmitz, Jessica Steinbrink, Steffi Wenderlich
 

Die Jugend ist immer wieder offen für Neues. Anscheinend gilt diese schlichte Weisheit auch fürs Jugendtheater: In einer früheren Spielzeit hat der Jugendclub der Wuppertaler Bühnen grandios „König Ubu“ von Alfred Jarry inszeniert und dabei eine absurde Comic-Welt auf die Bühne gebracht. Dieses Jahr haben sich die Theaterpädagogen Markus Höller und Miriam Rösch mit der graphic novel „Swallow me whole“ von Nate Powell tatsächlich eine Bildergeschichte zur Grundlage genommen, und zwar eine psychedelische – aber absurd ist das entstandene Stück trotzdem nicht, und von Comic keine Spur.
 
Fast eher möchte man es zuweilen „Ausdruckstanz“ nennen, was die Mädchen und Jungen mit vollem Körpereinsatz zeigen, um Bilder für die Seelenzustände der heranwachsenden Ruth zu schaffen. Denn „expressiv“ ist es in der Tat, wenn diese mit persönlichen Gegenständen gefüllte Einmachgläser sorgsam in immer neuen Formen an-ordnet und sich dem Zuschauer ohne Worte erschließt: Da versucht jemand, seine Ordnung zu finden. Daß es für ihre irrationalen Wahrnehmungen Gründe gibt, wird sehr deutlich mit einer Szene am elterlichen Essenstisch, die dreimal fast identisch abläuft und so vermittelt, wie sehr Ruth sich bedrängt fühlt („Du kannst mit uns über alles reden! – Hast du etwa schon Sex??“). Später beginnt ihr Spiegelbild zu weinen – etwas in ihr scheint sich zu sträuben gegen die Erwartung aller, sich anzupassen. Nur ihr Bruder Perry findet Zugang zu ihr, wenn sie wieder einmal abdriftet, wenn es dunkel wird und die Gesichter geisterhaft leuchten.
 
Anstrengend ist der Abend, auch fürs Publikum: Schon zum Einstieg laufen die über ein Dutzend Akteure minutenlang haarscharf aneinander vorbei oder bilden gehetzt Gruppen, manchmal stürzt einer zu Boden – der allgemeine Druck auf Ruth wird direkt spürbar. Die jungen Darsteller strahlen so erbarmungslos Ernst und Strenge aus, daß es regelrecht bedrohlich wirkt. Ähnliches passiert immer wieder bei „Swallow me whole“: Bühnengeschehen setzt innere Vorgänge in Aktion um und überträgt sie intensiv aufs Publikum. So soll das sein im Theater, so wünscht man’s sich.
 
Das alles heißt aber: Ruths Fantasien sind alles andere als wirr. Auch wenn Medikamente eine Rolle spielen, geht es in der Inszenierung nicht eigentlich um Schizophrenie und Wahnvorstellungen, wie es über die graphic novel gesagt worden ist. Denn Ruths Innenwelten sind zwar sehr verstörend, aber immer nachvollziehbar.
Etwa: Parallel zu äußeren Einschnitten wie einem abgesagten Praktikum stürmen Ruths Mitmenschen im stummen Laufschritt immer wieder die Bühne und zerschlagen buchstäblich ihre Gläser-Ordnung. Kein Comic, keine Krankheitsstudie, sondern eine packende Illustration des ewigen Versuchs, sich selbst zu finden.
 
 
Swallow me whole. Theaterprojekt nach Motiven des Graphic Novel von Nate Powell. Uraufführung.

Weitere Informationen unter: www-wuppertaler-buehnen.de