Selig!

Ketzerische Bemerkungen

von Ludwig Lenis

Johannes Paul II selig (also da noch nicht, denn das Foto entstand 1988)                                      Foto © Karl-Heinz Krauskopf

Selig!

Die wundersame Nonne Anna Katharina Emmerick (1774-1824) aus Dülmen, deren angebliche Stigmata laut amtlicher Untersuchung "durch mechanische Mittel erzeugt", also freche Fälschungen waren und deren unüberprüfbare mystische Visionen als gleichermaßen fragwürdig gelten dürfen, wurde im Jahr 2004 trotz aller berechtigten Zweifel selig gesprochen. Nun raten Sie mal von wem? Richtig, das kann nur der amtierende Papst, und der hieß 2004 Karol Wojtyla. Immerhin hatte sich die katholische Kirche mit dieser Seligsprechung doch etwas schwer getan, schließlich nahm sie sich für den Prozeß in zwei Abschnitten ganze 112 Jahre Zeit. Und weil das, was Anna zu Lebzeiten bei ihren Visionen gefaselt hatte, von dem vorübergehend in religiöser Schwärmerei zum Katholizismus konvertierten Clemens Brentano gewissenhaft aufgezeichnet worden ist, gab es einen Berg von zu überprüfenden Schriften, der eigentlich ordentlich hätte durchgearbeitet werden müssen. Das hat sich aber niemand zumuten wollen, also wurde er stillschweigend als irrelevant bezeichnet, nicht berücksichtigt und zack! hatten Dülmen und die Kirche eine Selige mehr.

Weit schneller ging das bei Karol Wojtyla, der als Papst Johannes Paul II  am 2. April 2005, also knapp ein halbes Jahr nach Anna Katharina Emmericks Seligsprechung gestorben ist. Schon nach  gerade
mal sechs Jahren hat der Vatikan jetzt dessen Seligsprechung durchgepeitscht, gestern mit weltweitem Public Viewing wie bei einer Fußball-WM oder Königshochzeit im Fernsehen übertragen - und beteiligt war wieder eine Nonne. Marie Simon-Pierre (50) vom Orden der "Kleinen Schwestern der katholischen Kreißsäle" (wie, bitte, kann ein Kreißsaal katholisch sein?) behauptet, daß sie nach einem inbrünstigen Gebet an den soeben verewigten Papst (ist das nicht ein ganz klein wenig Blasphemie?) über Nacht von ihrer  Parkinson-Erkrankung geheilt war. Aha, also hatte der tote Papst an der Nonne ein Wunder vollbracht, folgerte der Vatikan. Der Amtsnachfolger Joseph Ratzinger al. Benedikt XVI erkannte dieses angebliche Wunder seines früheren Chefs artig an und zack! hat die katholische Kirche und vor allem ganz Polen schon wieder einen Seligen mehr. Den Polen sei es gegönnt, sie lieben ihn zu Recht, weil er unendlich viel für ihre Freiheit getan hat. Aber das Prinzip ansonsten - zweifelhaft, höchst zweifelhaft.