Weltkriegsliteratur in der Weimarer Republik

Elizabeth Guilhamon/Daniel Meyer (Hrsg.), Die streitbare Klio.

von Matthias Dohmen
Weltkriegsliteratur
in der Weimarer Republik
 
Die Geschichte Hans Castorps in Thomas Manns epochalem Roman „Der Zauberberg“ „spielte und hat gespielt vormals, ehedem, in den alten Tagen, der Welt vor dem großen Kriege, mit dessen Beginn so vieles begann, was zu beginnen wohl kaum schon aufgehört hat“. Das letzte Kapitel schreibt der Nobelpreisträger 1924. In ihm wird der Krieg als ein „historischer Donnerschlag“ gekennzeichnet, „der die Grundfesten der Erde erschütterte“. Es war eine Megazäsur.
 
Mit Thomas Mann beschäftigen sich zwei der rund zwölf Beiträge des neu erschienenen Buches über die „streitbare Klio. Zur Repräsentation von Macht und Geschichte in der Literatur“. Über die wirklichen oder vermeintlichen Widersprüche zwischen seinen Ansichten in den „Betrachtungen eines Unpolitischen“, von 1915 bis 1918 entstanden, und dem Essay „Von deutscher Republik“, der 1922 erschien, ist viel geschrieben worden. Für ihn selbst stehen die Auffassungen nicht konträr gegenüber: „Ich warf mich im Namen deutscher Humanität der Revolution entgegen, als sie im Anzuge war. Ich werfe mich heute aus demselben Triebe der reaktionären Welle entgegen, die, wie nach den Napoleonischen Kriegen, über Europa hingeht“, formulierte er selbst.
 
Themen der Untersuchungen sind die literarischen Veröffentlichungen der so genannten Zwischenkriegszeit. Die Autoren gehen dabei davon aus, „daß das Schlagwort der ‚Krise des Historismus‘ zeitgleich – als literarische Entsprechung – mit demjenigen der ‚Krise des Romans‘ zusammenfällt, wobei Krise in beiden Fällen, insbesondere aus heutiger Perspektive, keiner Lähmung oder keinem Stillstand gleichkommt, sondern sich außerordentlich produktiv gestaltet“ (S. 10). Mit dem Verhältnis von Ethik und Politik in Heinrichs Manns „Henri Quatre“ beschäftigt sich Gérard Raulet, mit Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“ Achim Geisenhanslüke. Überschrift: Permanenz der Katastrophe. Unter dem Titel „Krieg und Geschichte“ beleuchtet Christa Karpenstein-Eßbach das „prominente Dreigestirn“ Ernst Jünger („in Stahlgewittern“, 1920), Erich Maria Remarque („Im Westen nichts Neues“) und Ludwig Renn („Krieg“, beide 1928).
 
Autoren und ihre Schicksale: Ernst Glaeser, dessen Roman „Jahrgang 1902“ heute noch bekannt ist, stand dem Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller nahe, emigrierte 1933, während seine Bücher auf dem Scheiterhaufen landeten, kehrte aber Ende der 1930er Jahre ins faschistische Deutschland zurück und wurde Redakteur von Luftwaffen-Frontzeitungen sowie eines nationalsozialistischen Periodikums im besetzten Polen.
Der Bücherverbrennung fielen auch die Werke des heute vergessenen Edlef Köppen zum Opfer, der in seinem „Heeresbericht“ stark mit Montagen arbeitet – ähnlich Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“ – und in seine Romanhandlung Erlasse und Befehle der militärischen Führung, Regierungsdekrete, Zeitungsberichte, Reklametexte und Tagebucheintragungen einbaut.
 
Schon die schiere Zahl ist beeindruckend: Fast 8.000 Titel hat Thomas F. Schneider in seinem „bio-bibliographischen Handbuch“ über „Autoren und Bücher der deutschsprachigen Literatur zum Ersten Weltkrieg 1914-1939“ erfasst. Die erste große Welle an Veröffentlichungen ist mit den Kriegsjahren 1914 bis 1918 gegeben, die zweite 1929/30 und eine dritte, bei der es dann in der Glorifizierung der deutschen Wehrmacht kein Halten mehr gab, 1933 folgende.
 
Nicht alle Beiträge sind gleich packend geschrieben, und manches wiederholt sich. Ein gemeinsames Register hätte dem Band gut getan, der in der „Schriftenreihe zur politischen Kultur der Weimarer Republik“ erschienen ist, die mittlerweile zwölf Bände umfasst. Herausgeber und Autoren gruppieren sich um die Universitäten Michel de Montaigne in Bordeaux und Mulhouse bei Colmar.
 
 
Elizabeth Guilhamon/Daniel Meyer (Hrsg.), Die streitbare Klio.
Zur Repräsentation von Macht und Geschichte in der Literatur,
© 2010 Peter Lang, Frankfurt am Main, 241 S., geb. - ISBN 978-3-631-61256-9 - € 42,80