Über den Dächern einer Stadt…

von Rebekka Möller

Rebekka Möller - Foto © Frank Becker
Über den Dächern
einer Stadt…
 
Regen praßt auf kalte Steine, Eisen, Stahl und Rost. Er schaut gen Himmel und fragt sich, warum es in dieser Stadt eigentlich immer regnet? In dieser nebelschleierverhangenen Stadt, die die Depression der Kriegsjahre hinter sich gelassen hat – Er hat sie noch nicht hinter sich gelassen.
Er faßt an. Er baut auf. Er errichtet Haltestellen und Stützpfeiler. Aber wer stützt ihn? Wo ist seine Haltestelle?
Es weht Gegenwind. Von allen Seiten weht Gegenwind ihm entgegen.
Er packt an. Er schafft. Steht erschöpft auf dem Schwebebalken, dem Fahrzeugträger. Von überall klingst zu ihm auf: „Wir sind wieder wer!“  - Aber: Wer sind wir denn? Und wer ist Er?
So steht er da, einfach nur da, über den Dächern einer Stadt, irgendwo unter dem Himmel Deutschlands.
 
Uhren ticken. Kinder wachsen. Jahreszeiten vergehn. Es ist Herbst. Ein sonniger Himmel mit Regentropfen durchwoben lässt Wolken weichen und zeichnet einen buntverbleichten Regenbogen. Und die sanften Tropfen auf seiner Haut bringen lang ersehnte Abkühlung vom Arbeitsschweiß der Jahre.
Der Wind hat sich gedreht. Jetzt weht Westwind, schon lange weht Westwind.
Er und die Stadt, sie beide sind jetzt im Aufbruch begriffen. Hand in Hand erschaffen sie Talachsen und Fahrschienen, lassen Brachflächen zusammenbrechen und Gelenkzugbahnhofsstege entstehn.
Von überall her klingt Kofferradiomusik, spielt schwingende, swingende Songs.
Heute im Komplettpaket: Erneuerung. Neu-Anfang, Neu-Beginn, neues Glück!
So steht er da, über den Dächern einer Stadt, irgendwo unter dem Himmel zweier Deutschlands.
 
Immer schneller vergeht die Zeit und immer größer werden Kinder. Auf Herbst folgt Winter…. Frühling, Sommer, Herbst, Winter, Frühling, Sommer,  ….
Und mitten im Sommer ein Regenguß! Und da schaut er gen Himmel und fragt sich warum es in dieser Stadt eigentlich immer regnet?!?  Und er denkt für sich: Wegen des Steigungsregens! Und er lacht und der Regen praßt auf ihn nieder, auf ihn und die Stadt, durchnäßt, triefend aber glückselig riecht er den Sommerregenduft. Geliebten Sommerregenheimatduft.
Wenn er jetzt über die Stahlbalken geht, dann mit Rückenwind. Beschwingt, und stolzen Schrittes. Jede Windung, die er prüft, jede Niete, die er pflegt sind Schritte auf dem Majestätsweg zur Zuversicht.
So steht er da, über den Dächern einer Stadt…Er geht seinen letzten Rundgang, zieht die letzte Schraube an und verläßt die
 
Schwebebahn.
 
 

© Rebekka Möller - Erstveröffentlichung in dden Musenblättern 2011
Redaktion: Frank Becker