Dichtung und Werbung –
Eine Doppelrezension von Andreas Greve Eigentlich wollte ich in dieser kleinen Rezension absolut Eigensinniges und Freigeistiges auf total Nutzorientiertes und Angepaßtes prallen lassen: Dylan Thomas auf Werbung bzw. einen Bildband über den walisischen Großdichter auf ein gebundenes Crash-Kurs-artiges Ideen-Sammelsurium mit dem unverständlichen Titel „Die Sahneschnitte“. Bei der Präsentation der pinken Wundertüte durch die beiden Autoren in der Hamburger Buchhandlung Cohen + Dobernigg erklärten sie den neuen Titel durch den letzten Titel, also des – angeblich megaerfolgreichen – Buches dieser Art und aus ihrer Hand: „Die Mörderfackel“. Bitte? Ist das nicht ein etwas umständliches Verfahren? Egal ob Schnitte oder Fackel – „Torte“ oder „Steiler Zahn“ …. Das war nun wirklich beeindruckend, daß für diese hammerharte Branche, in der man jedes Großprojekt und jede Kampagne, aber vermutlich sogar eine längere Liebeserklärung, in Sekundenbruchteilen „pitchen“ können muß, zwei altgediente Hasen mittleren Alters so etwas Erklärungsbedürftiges vom Stapel lassen oder sagen wir in diesem Metier lieber: launchen.
Diese Sahneschnitte hat nur auf den ersten Blick Hand und Fuß, aber eine krisenfeste und hölzerne Systematik, die nur an einigen Stellen aufgelockert wird durch einen Exkurs – beispielsweise über die Erfolgsphilosophie der Klitschko-Brüder oder ein einführendes Fachgespräch mit einer amerikanischen Porno-Darstellerin deutschen Ursprungs über die Kraft des Verbalen (um nicht zu sagen Oralen). Deutsch törnt an. Der Aufbau: Branchenbekannte Werber versuchen (jeweils in einer Gruppe von Dreien, was sie aber vorher nicht wußten) eine veröffentlichte, aber ziemlich dürftige Print-Kampagne auseinanderzunehmen und mit einem Gegenvorschlag zu überflügeln. Das geht mehr als einmal gewaltig nach hinten los und wird zu dem, was man gemeinhin als Verschlimmbesserung bezeichnet. Zugleich gibt jeder dieser Art-Directors oder Creative-irgendwas in einem identischen Fragenkatalog Auskunft über eigene Person, Karriere und seine / ihre Sicht der fachlichen Dinge. Diese biographischen Porträts sind das eigentlich Interessante in diesem 260 Seiten starken Band aus dem renommierten Verlag Hermann Schmidt Mainz. Der einzige Projektteilnehmer, der seine Hausaufgaben wirklich mehr als gründlich gemacht hatte, ist Ralf Heuel, Geschäftsführer bei Grabarz & Partner: Auf zehn selbstgestalteten Doppelseiten gibt er Empfehlungen, Warnungen, abschreckende Beispiele und Ratschläge für Funkwerbe-Spots, die man auch direkt aus dem Buch ins Ohr befördern könnte – sofern man denn ein neues Handy mit dieser smarten Lesefunktion besitzt. Großartig! Das war auch die einzige Passage, wo die geduldigen Zuhörer nicht vor Müdigkeit oder vor verzweifeltem Lachen von den Stühlen fielen.
Die Autoren Armin Reins und Veronika Claßen (in dieser Reihenfolge steht es auf dem Titel) wollen mit ihrem Tortenteil (auch das steht gleich dort:) „das Mittelmaß in der Werbung bekämpfen“. Sie selber gaben dann in ihrer Präsentation in dieser wunderschönen Buchhandlung im Hamburger Schanzenviertel ein schönes Beispiel für Mittelmaß und mehr: Ohne jedes Gefühl für Rhetorik oder Performance, so grundmiserabel und ohne Rücksicht auf Verluste einfach aus dem eigenen Buch ablesend, daß man am Ende sogar dem wandkachelgemusterten, zerknitterten Hemd des Urhebers – Armin Reins ist übrigens Gastprofessor für Sprache und Kommunikation an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig – mehr Aufmerksamkeit schenkte als dem Vortrag… Schade. Ich hatte wahrlich mehr erwartet von www.reinsclassen.de – auch was die Kleidung angeht. Nicht ohne Stolz erzählte das Gespann, daß einige der vorgeführten Gastkritiker - Kollegen also - nun nicht mehr mit ihnen sprächen. Das konnte ich nachvollziehen.
Das einzige, was ich hier an dieser Stelle noch tun konnte, war: In diesem Werbe-Artikel nicht auch noch einen Bildband über Dylan Thomas unterzubringen oder gar untergehen zu lassen. Deshalb verläuft hier der Schnitt… Wir ziehen einen deutlichen Strich vermittels einiger Zeilen…
“Do not go gentle into that good night, / Old age should burn and rave at close of day;/…“
“Geh nicht gelassen in die gute Nacht, / Brenn, Alter, rase, wenn die Dämmerung lauert;“
Sie stammen von dem Dichter, der hierzulande weitaus bekannter wurde als seine Gedichte. Elke Heidenreich, die schon ein recht schönes TV-Stück über Dylan Thomas gemacht hat - das ich sogar zufällig gesehen habe - veröffentlichte im Knesebeck-Verlag mit dem Fotografen Tom Krausz eine Art Einführung in Leben, Treiben und Werk dieses Genies und Meisters der Unverständlichkeit. Um mich zu qualifizieren oder wenigstens ein wenig schlauer zu machen, hatte ich mir außerdem Dylan Thomas´ Gedichte in Englisch und Deutsch in Form des Taschenbuchs „Windabgeworfenes Licht“ aus der Hamburger Bücherhalle geliehen. Selten habe ich Lyrik weniger verstanden! Rätselhaft. Zutiefst rätselhaft. Nur machte mir das nichts. In dem Falle nicht. Im Gegenteil: Für solche Fälle wie mich – also Interessierte, die gerne wollen, aber nicht können – hat Heidenreich ihren Bildband gemacht. Für und von jedem etwas. Die grobe Sortierung steht schon vorne als Untertitel: Waliser. Dichter. Trinker. Selbst die verrätselten Gedichte sind so verteilt, daß das eigene Unvermögen das Lesevergnügen nicht trübt. Zumal die Autorin auch noch schreibt: „Wer sich nicht auf den schnellen assoziativen Wirbel seiner Texte einläßt, wird sich in ihnen hoffnungslos verlieren und die Magie dieser Dichtung nicht finden.“ Mir half faktisch der Tonfall im englischen Original und eine viele Jahre alte, vage Erinnerung an Aufnahmen von Dylan Thomas´ Rezitier-Melodie im Radio. Und ich glaube, es war Elke Heidenreich, die schrieb: „Es muß eine Art vorweggenommener Rap gewesen sein, ein beeindruckender Sprechgesang.“
Dylan Thomas war seine eigene Fackel, schnell lebend, sehr früh sterbend, vom Alkohol zerfressen. Allerdings begann er schon als Kind Gedichte zu schreiben und einen nicht unbeträchtlichen Teil seines Gesamtwerks hat er vor seinem 19. Lebensjahr gedichtet. Es gibt die Anekdote, daß er als Knirps mitten im Unterricht aufstand, das Klassenzimmer verließ und auf erstauntes Befragen seines Lehrers, wo er denn wohl hinwolle, antwortete: „Home to my poetry!“ Er war als Dichter großes Vorbild für viele – allen voran Bob Dylan, der sich aus eben diesem Grund Dylan nannte. Thomas schrieb rauschhaft und häufig im Rausch oder nach einem rücksichtslosen Körpereinsatz, der dicht ans Delirium grenzte. Eigentlich schrieb er nur mit, was durch ihn hindurch in die Welt wollte. Weltschmerz, Weltmüdigkeit, Wortgewalt, Wortverliebtheit. Manchmal kommt man da fast mit:
„Ein Riß im Himmel quer durch den zerfetzten Hochzeitstag der zwei“ …“Die Fenster schütten Regen in ihre Herzkammern und die Türen brennen in ihrem Hirn.“ Das muß man halt zweimal lesen, wie auch das Buch selbst. Nach dem ersten Durchgang - und all dem existenziellen Elend und der fatalen Grundkonstellation einer Alkoholiker- und Künstlerehe, in der beide tranken, aber nur einer dichtete und nur eine sich notdürftig um die Familie kümmerte – war ich sicher, nur Schwarz-Weiß-Fotos gesehen zu haben. Das stimmt aber gar nicht. Aber eine auf der Abwärtsspirale befindliche walisische Küstenstadt wirkt auch in Farbe nicht sonderlich frohgestimmt. Er brauchte diese Küste, um arbeiten zu können. Er schrieb über diese Landschaft und über diese Menschen – auch in seinem bekanntesten Werk, dem Theaterstück „Under milkwood“ (auf Deutsch? Hier drücken!) – und er schrieb über diese kleine Welt in einer Art und Weise, daß es die ganze Welt hören wollte: Er starb 1953, im Alter von nur 39 Jahren, während einer seiner USA-Lesereisen in New York.
Mag sein, daß dieser Band nur als ein Synergie-Produkt im Kielwasser eines Fernsehfilms entstand. Mag sein, daß er für wahre Dylan Thomas-Kenner nur Konfekt ist, aber für einen Späteinsteiger wie mich wirkt er wie eine Fruchtschale: Einfach offen stehen lassen, um im Bedarfsfall ein paar frische Vitamine zu sich nehmen.
Im Sammelband „Windabgeworfenes Licht“ fand sich dann sogar noch ein Gedicht, das mir – abgesehen vom Geschlecht - auf den Leib geschrieben war. Es trägt den sachlichen Titel „Ein Brief an meine Tante über den rechten Zugang zur modernen Lyrik“:
„Dir, liebe Tante fällt nicht leicht, / der Weg ins Literatenreich /…
Schäm Dich, Lieb, ich zeig Dir jetzt, / wie man sein Niveau hoch setzt,“ (…). Ein ganzes langes Gedicht seiner Tante zu Gefallen gefällig gereimt! Denn generös war er.
Armin Reins und Veronika Claßen - „Die Sahneschnitte“ Wie die besten Texter aus Deutschland, Österreich und der Schweiz das Mittelmaß in der Werbung bekämpfen.
254 Seiten mit 185 Abbildungen, Hardcover mit neon-magentafarbenem Überzug und haptischen „Sahnetupfern“ - Format 20 x 26,5 cm - ISBN 978-3-87439-790-2
49,80 EUR Elke Heidenreich,Tom Krausz - Dylan Thomas - Waliser. Dichter. Trinker. 160 Seiten, Gebunden mit SU, 25,5 x 23,5 cm, mit 57 schwarzweißen und mit 24 farbigen Abbildungen - ISBN 978-3-86873-222-1
29,95 € (D) - 43,50 sFr ⁄30,80 € (A)
P.S.: Schöner Artikel von Petra Kipphof: www.zeit.de/1992/50/wilde-woerter |