"Aufbruch und Ekstase - Brücke und Blauer Reiter" - "Symbolismus und die Kunst der Gegenwart"

Zwei hervorragende Ausstellungen im Wuppertaler Von der Heydt-Museum

von Frank Becker

Ein Kunstsommer von Rang

Das Wuppertaler Von der Heydt-Museum zeigt bis 30. September
in beachtenswerten Ausstellungen Strömungen der Moderne

Sie wissen nicht, wohin in diesen verregneten Sommerferien? Ich hätte da einen Tip für sie, liebe Leser, der ihnen preiswerter als der billigste Billigflug-Anbieter zu einer traumhaften Reise verhilft. Trockenen Hauptes und Fußes und ohne weite Anreise, kompliziertes Einchecken und Paßkontrolle gelangen sie zu realen Plätzen und zu Orten der Phantasie. Kaufen sie sich einfach eine Eintrittskarte zu einer der aktuellen Ausstellungen im Wuppertaler Von der Heydt-Museum - oder gleich eine kombinierte Karte für alle Ausstellungen - und lassen sie sich entführen: in die Zeit von Brücke und Blauer Reiter "Aufbruch und Ekstase", zum Symbolismus und seinen künstlerischen Erben bis heute "Symbolismus und die Kunst der Gegenwart" oder unternehmen sie einen Ausflug durch einen Teil

Franz Marc - Fuchs 1911 Foto © Frank Becker
des Dauerbestandes des Museums, der bis Jahresende unter dem Titel "Pasticcio II" (mit Gemälden aus der Niederländischen Malerei des 16. und 17. Jahrhunderts, Deutscher Romantik, Biedermeier, Realismus, Impressionismus, Aufbruch in die Moderne, Expressionismus, Neuer Sachlichkeit, Figuration und Abstraktion, Surrealismus und Art Brut, Existenziellen Aspekten und Tendenzen der Gegenwart) gezeigt wird.

Enorme Vielfalt

Die Vielfalt dieser drei gleichzeitig präsentierten Ausstellungen ist Zeugnis zum einen für den Reichtum des beachtlichen und ob seiner Fülle nie ganz zu sehenden Wuppertaler Museumsbestandes, aus dem sich auch die Sonderausstellungen reichhaltig bedienen können, zum anderen gibt sie der Bereitwilligkeit zur Begegnung mit der klassischen und zeitgenössischen Moderne Ausdruck.
Das geschieht sehr eindrucksvoll und in raffinierter Zusammenstellung derzeit in Wuppertal, und daß sich zwischen den Präsentationen Verknüpfungen und Schnittstellen finden, macht einen Besuch umso interessanter.

Brücke und Blauer Reiter

Bereits am 6. Mai öffnete "Aufbruch und Ekstase - Brücke und Blauer Reiter" seine Pforten. Die
 
Ernst Ludwig Kirchner - Badenden in Moritzburger
Teichlandschaft - Foto © Frank Becker
beiden für die Kunst des deutschen Expressionismus entscheidend wichtigen Künstlervereinigungen werden nebeneinander präsentiert. Die 1905 in Dresden gegründete Künstlergemeinschaft "Brücke", zu der Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff, Max Pechstein, Otto Mueller und Emil Nolde gehören, wird gemeinsam mit Künstlern der Münchner Gruppe "Blauer Reiter" aus- und ihnen gegenübergestellt.  1909 als Neue Münchner Künstlervereinigung gegründet und 1911 in den "Blauen Reiter" übergegangen, zählte die Gruppe u.a. Wassily Kandinsky , Gabriele Münter, Franz Marc, August Macke, Adolf Erbslöh, Paul Klee und
 
Johan Thorn Prikker - Der Tauzieher 1911
Foto © Frank Becker
Alexej von Jawlensky zu ihren Protagonisten. Zusätzlich in die Ausstellung aufgenommen wurden Plastiken der zeitgenössischen Bildhauer Wilhelm Lehmbruck, Bernhard Hoetger und des Barmers Wilhelm Hüsgen.

Gemeinsamkeiten

Beiden Gruppen gemeinsam ist die Farb-Skepsis, die sich besonders beim Blauen Reiter und im Werk von Mueller, Heckel, Nolde und Kirchner Bahn bricht. Der Mensch steht wie beim literarischen Aufbruch dieser Epoche bei der Brücke im Mittelpunkt, der Moloch Stadt ist verdächtig, die Idylle sehnsuchtsvoll erstrebt und in Garten- und Badeszenen beschworen. Die Revolution brodelt in Bildern und Texten, denken wir an Jakob van Hoddis´ berühmtes Programmgedicht des Expressionismus "Weltende": "Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut/ in allen Lüften hallt es von Geschrei..." .
Der grobschlächtige, archaische Holz- und Linolschnitt Schmidt-Rottluffs, aggressiv breitflächig
 
Otto Mueller - Drei Mädchen im Gras
Foto © Frank Becker
angelegte Szenen und ausdrucksvoll subtile Akte Muellers drücken die anti-bürgerlichen Hauptrichtungen dieser Linie aus. Traum und Phantasie hingegen, eine romantische, fast fluchtähnliche Verklärung und Verfremdung bis hin zur Abstraktion
spielen im Werk der NMKV/Blauer Reiter eine entscheidende Rolle. Hier treten auch inhaltlich-konzeptionelle Korrespondenzen mit Musikern wie Alban Berg, Arnold Schönberg, Anton Webern und Alexander Skrjabin auf den Plan, bilden eine frühe Form der Farbvertonung, wie sie in unseren Tagen vom "ensemble sonorfeo" gepflegt wird.

Blick nach innen

Ein mutiger und durchaus gelungener Brückenschlag zwischen einer kaum begrifflich zu fixierenden oder auf einen Zeitrahmen festzulegenden Kunstform, dem Symbolismus und einer radikalen Moderne auf der Schwelle zum 21. Jahrhundert ist die zweite Sonderausstellung des Wuppertaler

Christian Behrens - Der Kuß der Sphinx (Detail)
Foto © Frank Becker

Museums: "Symbolismus und die Kunst der Gegenwart" wurde sie konsequenterweise auch in exakter Beschreibung des Vorgangs genannt. Kuratorin Ute Riese hat mit großzügigen Schwüngen ausgeholt und Werke zusammengestellt, die atemberaubend, amüsant, erschreckend, durchweg aber von hoher Faszination sind. Die gezeigten Bilder und Plastiken verdeutlichen den Rückzug der beteiligten Künstler ins eigene Innere, der sich Schulter an Schulter mit literarischen Parallelen von u.a. Paul Verlaine, Stéphane Mallarmé und Arthur Rimbaud sieht. Die Mystik des Symbolismus z.B. in Plastiken von Jean Jacques Feuchère (Satan, 1833) Christian Behrens (Der Kuß der Sphinx, 1879) und Jonathan Meese (Das Bildnis des Dr. Fu Manchu, 2004) steht in direkter und unmittelbarer 
Linie.

Rezeptionen

Die Ausstellung zeigt die Rezeption Arnold Böcklins (1827-1901)  durch Glenn Brown (*1966), Gustav Klimts (1862-1918) durch Amie Dicke (*1978) oder von John Millais (1829-1896) "Ophelia" durch Tom Hunters (*1965) "The Way Home" und belegt, daß Symbolismus nicht an eine Zeit gebunden, sondern ein sich stets erneuernder Prozeß der inneren Selbstbespiegelung ist. Norbert Schwontowskis "Der Weg nach Hause"
(2006) - eine interessante Titel-Parallele -  könnte genauso gut dem Surrealismus eines Max Ernst entstammen. Diese Kette könnte hier fortgesetzt werden, doch um neugierig zu machen, dürften die genannten Kostproben schon reichen. Eine sehr zu empfehlende Präsentation ohne Tabus, die Gemeinsamkeiten von Fin-de-Siècle, Comic, Punk, Pop-Art, Vision und Traum unter ein Dach bringt.
 
Uwe Henneken - Before and Beyond
Foto © Frank Becker


Kataloge:
Zu dieser Ausstellung ist ein ausführlicher Katalog erschienen:

"Das deutungsreiche Spiel - Der Symbolismus und die Kunst der Gegenwart"
Hrsg. Gerhard Finckh
Von der Heydt-Museum, Wuppertal 2007
243 S., gebunden, ISBN: 978-3-89202-067-7, € 20,-

Zur Ausstellung "Aufbruch und Ekstase - Brücke und Blauer Reiter" gibt es keinen neuen Katalog, doch sind im Museum noch letzte Exemplare des Kataloges "Brücke und Blauer Reiter" (Zeichnungen, Aquarelle, Pastelle, Druckgraphiken) von Sabine Fehlemann zu einer ähnlichen Ausstellung im Jahr 1997 zu bekommen: 264 Seiten, Pb., ISBN 3-89202-030-2.

Beide Sonderausstellungen sind noch bis zum 30. September zu sehen, "Pasticcio II" mit Werken aus der Sammlung des Von der Heydt-Museums bis zum 25. November.


Weitere Informationen
unter: www.von-der-heydt-museum.de