Der Hochzeitsmarsch

Ein musikalisches Feuilleton

von Dorothea Renckhoff

Felix Mendelssohn
Melodien die jeder kennt

Es gibt Melodien, die gehören einfach dazu, die sind so sehr Teil unsres Lebens, daß wir gar nicht mehr darüber nachdenken, woher sie stammen und wer sie erfunden hat – untrennbar sind sie in unsrem Bewußtsein mit bestimmten Situationen verbunden. Aber manchmal ist sie doch spannend, die Geschichte hinter der Melodie:

Der Hochzeitsmarsch

Braut mit Schleier und Schleppe, blumenstreuende Kinder, ein Festzug zieht in die Kirche ein - egal, ob Happy-End im Film oder Fürstenhochzeit, zu diesem Bild gehört die Orgel, die brausend aufjubelt mit dem berühmten Hochzeitsmarsch. Daß Liebespaare in aller Welt heute ihren Bund fürs Leben mit dieser geradezu triumphierenden Musik besiegeln können, verdanken wir einem schwärmerischen König, einem verkrüppelten Greis und einem schönen jungen Musiker.

Ein Lebenstraum – Ein Sommernachtstraum

Den Romantiker auf dem Thron nannte man Friedrich Wilhelm IV., der – eine Art Prinz Charles des 19. Jahrhunderts – erst nach jahrzehntelanger Wartezeit 1840 in Berlin zum König gekrönt wurde. Die meisten seiner freiheitlichen Ideale hatten wie sein Gesicht bereits ein wenig die Form verloren, nur einen einzigen Wunsch konnte er tatsächlich verwirklichen: An seinem Hof sollten die Künste blühen. Die berühmtesten Schriftsteller, Maler und Komponisten lud er zu sich ein, plante einen Dom für Berlin und großartige Theaterereignisse im Neuen Palais in Potsdam. Zur Leitung der Aufführungen hatte er den großen alten Dichter Ludwig Tieck bestimmt, der jahrelang mit seiner Tochter an der bis heute berühmtesten deutschen Shakespeare-Übersetzung (‚Schlegel-Tieck’) gearbeitet hatte und schon lange von einer solchen Möglichkeit träumte. Körperlich ein Wrack, von Gicht verzogen und so verkrümmt, dass ihm der Kopf auf der Brust saß, ließ er sich nicht einmal durch einen Schlaganfall auf Dauer von den Proben zu seinem Lieblingsstück abhalten: Shakespeares ‚Sommernachtstraum’, ein Wunderwerk aus Mondschein, Zauberkunst und Liebessehnsucht.

Nur ein einziger Komponist kam in Frage

Keine Sekunde hatten König und Dichter zu überlegen brauchen, wer die Bühnenmusik schreiben sollte. Da kam niemand in Frage, als der vom Publikum verwöhnte und doch so liebenswürdige Felix Mendelssohn, der mit siebzehn Jahren eine Ouvertüre zu diesem Werk komponiert hatte, die Shakespeares schillernde Traumwelt von Elfen und Zauberwesen in Musik zu übertragen schien. Mendelssohn schaffte das Wunder und schrieb 16 Jahre nach diesem ersten Geniestreich da weiter, wo er als Halbwüchsiger im väterlichen Garten aufgehört hatte. Der Erfolg blieb nicht aus: Das Publikum war verzaubert, nicht nur bei der ersten Aufführung 1843 im Schloß, sondern immer wieder.

Unverzichtbarer denn je - heute

Dabei war und blieb der Hochzeitsmarsch die populärste Nummer: Im Stück die Musik zu einer Fürstenhochzeit, konnte ihn bald jeder in Bearbeitungen für Klavier, Geige oder Harfe kaufen und zu Hause im Wohnzimmer hämmern oder zupfen, bis das 20. Jahrhundert mit seinen Vervielfältigungsmöglichkeiten ihn endgültig in unser aller Bewusstsein heimisch machte.

© Dorothea Renckhoff - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2007
Die Redaktion der Musenblätter freut sich, Dorothea Renckhoff mit diesem Text als Mitarbeiterin begrüßen zu können.
Wir stellen Ihnen die Autorin in Kürze ausführlich vor.