Goethes Christiane

von Hanns Dieter Hüsch

Christiane Goethe, geb. Vulpius
Ach was wären wir Männer
Wir Sucher und Spinner
Phantasten und Grübler
Ohne unsere geduldigen Frauen
 
Unser Höhenflug
All unsere Sprünge und kindischen Spiele
Wären doch bald ein dummes Geschwätz
Säße nicht jemand daneben
Der in den Schlaf uns nimmt
 
Kommen wir heim
Erschöpft und mit Trauer bekleidet
Wird doch die Küche zum Festsaal
Und Liebe leuchtet durchs Leben hindurch
Wenn wir in diesem Jahre eines Dichters gedenken
Und seine Verse uns schenken
Was er an Weisheit uns bot
Vergessen wir oft die Frau
Die den Meister wohl sehr genau
Wohl am genauesten kannte
Als »Bettschatz« noch heute mokant belächelt
Goethes Christiane
Das kleine Naturwesen
Wie man sie nannte
 
Früh schon für den Unterhalt
Der eigenen Familie gesorgt
Als Arbeiterin in der Blumenfabrik
Den Bruder gefördert
Armut gelernt
Dann dem Dichter über den Weg gelaufen
Der dachte
 
»Ich wünsche mir eine hübsche Frau
Die nicht alles nähme zu genau
Doch aber zugleich am besten verstände
Wie ich mich selbst am besten befände.«
 
Einen Knicks gemacht
Und den Dichter um Hilfe für ihren Bruder
Gebeten
 
So fing es an
 
Und wer hat dem Meister dann sein Lieblingsessen gekocht
Wer hat ihn in bitteren Stunden zu trösten vermocht
Wer hat das Geld umsichtig klug verwaltet
Wer hat die Feste für Gäste gestaltet
Im Hause am Frauenplane
Goethes Christiane
 
Wer hat die Familie zusammengehalten
Wer wußte stets frohes Zusammensein zu entfalten
Wer fuhr nach Frankfurt viele Meilen
Um den Nachlaß der Schwiegermutter aufs Beste zu teilen
Wer hat all das trotz Neidern und Spöttern gewagt
Wer hat »Wolfgang, du mußt dich jetzt schonen« gesagt
 
Und wenn manchmal nicht alles zum Besten schien
Wer hat ihm romantische Episoden verziehn
Im Hause am Frauenplane
Goethes Christiane
 
Goethe Die Pflanzen Die Farben Der Faust
Das Genie der Minister wie hält man das aus
Christiane mit wenigen Ausnahmen immer zu Haus
Wenn der Dichter auf Reisen ging
Und seine Verse bei andern fing
 
Wer hat ihn vor der Soldateska beschützt
Wer hat ihm bei der Theaterarbeit oft genützt
Und ihm das Dichten leicht gemacht
Und ihm sicher auch einmal die Meinung gesagt
Im Hause am Frauenplane
Goethes Christiane
 
Wer hat den Garten zum Paradies gemacht
Wer hat mit ihm gescherzt und gelacht
Wer hat gegen allen Tratsch einfach durchgehalten
Und immer von neuem begonnen
Und selbst Schopenhauers Mutter zur Freundin gewonnen
 
Wer hat ihm fünf Kinder geboren
Und vier sind schon ganz jung gestorben
Wer hat sich an ihn zur Gänze verloren
Und nichts ist dabei verdorben
Im Hause am Frauenplane
Goethes Christiane
 
»Doch was im Garten
Am reichsten blüht
Das ist des Liebchens
Lieblich Gemüt«
 
In der Früh um viere begraben
Gestorben an Urämie
Das ist Blutvergiftung
Durch Nierenversagen
Nun wer denkt schon in diesen Tagen
- von der höfischen Herrschaft
Den eitlen Geistern und Schranzen
An ihrer Spitze die Frau von Stein
Lange verlacht und verleumdet -
An das ungebildete Mädchen aus der Fabrik
 
»Der menschliche Zustand ist so hoch in Leiden und Freuden
Gesetzt, das gar nicht berechnet werden kann, was ein paar
Gatten einander schuldig werden. Es ist eine unendliche
Schuld, die nur durch die Ewigkeit abgetragen werden kann.«
Sagt Goethe
Schreibt Goethe
 
Zusammenfassend das Gelassene und das Getane
Gedenken wir auch besonders in diesem Jahr
Seiner Christiane.
 
 
Hanns Dieter Hüsch
 
 
Christiane von Goethe (* 1. Juni 1765 in Weimar als
Johanna Christiana Sophie Vulpius; † 6. Juni 1816 ebenda)




© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung  in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung