Ein buntes Tortenstück hat Geburtstag

Das Frankfurter Museum für Moderne Kunst wird 20 Jahre alt

von Christian Sabisch

Foto: MMK
Ein buntes Tortenstück
hat Geburtstag


Frankfurter Museum für Moderne Kunst
Das MMK wird 20 Jahre alt


Architekturkritiker verspotteten anfangs das Haus als buntes Tortenstück, denn der Wiener Architekt Hans Hollein entwarf in postmodernistischer Manier das neue Museum für zeitgenössische Kunst der Stadt Frankfurt auf einem spitz zu laufenden Grundstück. Doch seit der Eröffnung unter dem renommierten Schweizer Kunsthistoriker Jean-Christoph Ammann 1991 hat das Haus international an Bedeutung gewonnen - und auch ohne Ankaufsetat ständig den Bestand erweitert. Nun feiert das Museum sein 20jähriges Bestehen und geht im Konkurrenzkampf mit der benachbarten Ausstellungshalle Schirn in die Offensive: Vier Monate lang präsentiert das Haus fast alle Künstler der Sammlung mit raumgreifenden Installationen, etwa von Bill Viola und Christian Boltansky, Nam June Paik und Ai Wei Wei.

Schon vor 20 Jahren nannte der Direktor des Hauses, Jean-Christophe Ammann, den Neubau schlicht zu klein. Etwas mehr als 4.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche würden nicht reichen, um ständig den Grundstock der hauseigenen Sammlung zu zeigen, geschweige denn die ständig dazukommenden Neuerwerbungen. Der Schweizer hatte zudem ein Faible für raumgreifende Installationen. Als er das Haus 1991 eröffnete, war somit klar, daß in regelmäßigen Abständen die
Arbeiten umgebaut, neu sortiert und arrangiert werden müßten. Ammann legte auch den Grundstein für eine Arbeitsweise, die sich bis heute erhalten hat, die enge Zusammenarbeit mit Künstlern, die eigens für das Museum Arbeiten entwickeln, wie die Direktorin Susanne Gaensheimer erläutert:

Kunst nicht nur für die Wand

Susanne Gaensheimer -
Foto: Maruricio Guillén

„Das ist ja meines Erachtens ein Wesensmerkmal eines Museums für Gegenwartskunst, daß man Kunst nicht nur an die Wand hängt, sondern daß man bei der Entstehung ganz eng dabei ist, daß man sie ermöglicht, daß man sie dadurch auch produziert, und das, was wir hier im Haus machen wird natürlich dann für dieses Haus produziert.“

Dabei sind die Vorgaben häufig durch die Architektur geprägt. Viele Räume laufen spitz zu, haben keinen rechten Winkel, andere sind bis zu elf Meter hoch. Als Susanne Gaensheimer vor gut zwei Jahren die Leitung des MMK übernahm, war ihr schnell klar, daß sie zum 20. Geburtstag des Hauses ein zusätzliches Quartier benötigen würde, um die Sammlung in größerem Umfang zu zeigen. Ganz in der Nähe fand man ein ehemaliges Verwaltungsgebäude der Degussa aus den 50er Jahren, das demnächst einem neuen Komplex von Bürotürmen weichen soll. Susanne Gaensheimer gelang es, den Investor zu überzeugen, bis zum Beginn der Abrißarbeiten hier für 69 Tage einzuziehen und so auf zusätzlichen 4.000 Quadratmetern ihr Haus umfassend vorzustellen. In manchen Räumen wurden die Decken und Böden entfernt, andere erhielten zusätzliche Wände. „Wir haben den Abbruch auch als Abbruch sichtbar gelassen. Wir haben nicht versucht, das Gebäude zu glätten oder zu beschönigen, aber ich finde, darin liegt eben auch ein großer Reiz, denn ich finde, das tut der Kunst ganz gut, wenn sie mal aus ihrem „white cube“ rauskommt und in eine andere Situation gestellt wird. Ich finde auch gerade bei Arbeiten, die man kennt, manche von denen sind einfach alte Freunde, wie die Pinguine beispielsweise, tut es sehr gut, die mal in einem ganz anderen Rahmen zu sehen.“


Stephan Balkenhol, 57 Pinguine, 1991 - Foto: Axel Schneider

Die Pinguine stammen von dem Bildhauer Stephan Balkenhol. 57 grobschlächtig gehauene Holzvögel tummeln sich auf grauen Säulen. Balkenhol gehört zu den rund 150 Künstlern, die hier mit knapp 1.000 Werken auf sieben Etagen gezeigt werden. Manche erzeugen ein Gefühl beklemmender Enge wie Christian Boltanskis Porträtfotos von toten Schweizern in einer kleinen Kammer. Andere wiederum beeindrucken in ihrer schlichten, uniformen Zurückhaltung, etwa Hanne Darbovens 899 DIN-A 4 Blätter mit getippten Jahreszahlen. „Ein Jahrhundert – Johann Wolfgang von Goethe gewidmet“ lautet der Titel. Die Gipskopie einer Büste des Dichters unterstreicht den Bezug und stellt einen denkwürdigen Kontrast zu „Die Toten“ von Hans-Peter Feldmann dar. In Vitrinen liegen seine schwarz-weiß-Fotos von Opfern und Tätern aus der Baader-Meinhof-Zeit. Ein paar Räume weiter verbreiten 96 bauchige Vasen von Ai Wei Wei und Serge Spitzer eine heitere Stimmung wie auch die umgestoßenen Möbel von Reiner Ruthenbeck.


Reiner Ruthenbeck, Umgekippte Möbel, 1971 - Foto: Axel Schneider

Insgesamt eine Ausstellung, die anregt, die aber vielleicht auch in der benachbarten Schirn Kunsthalle gezeigt werden könnte? Und auch das Frankfurter Städel-Museum widmet sich seit einiger Zeit ja ebenfalls verstärkt zeitgenössischer Kunst. Dessen Direktor Max Hollein ist der Sohn des Architekten Hans Hollein, der das MMK entwarf. Max Hollein leitet auch die Schirn-Kunsthalle und die Skulpturensammlung im Liebieghaus. Gräbt da der Platzhirsch seiner Konkurrenz das Wasser ab?

Susanne Gaensheimer antwortet höchst diplomatisch:

„Ich finde, eine Stadt wie Frankfurt kann durchaus zwei Museen vertragen, die sich mit Gegenwartskunst beschäftigen. Gegenwartskunst ist ja so ein Riesenfeld, Sie können ja sowieso nicht alles abdecken. Und ich denke, daß Max Hollein sich aus seiner Sammlungslogik heraus vor allem mit Malerei und dem Bild, der Entwicklung des Tafelbilds in der Gegenwartskunst beschäftigt, während wir hier natürlich von vorne herein immer alle Medien hatten: Photographie, Film, Video, vor allem auch Konzeptkunst hier eine starke Rolle spielt, schon immer gespielt hat und weiterhin spielen wird.“

Bleibt noch die Frage, die schon gestellt wurde, als die ersten Pläne für ein Museum der Gegenwartskunst in Frankfurt konkret wurden, ob nämlich alles, was ins Museum kommt, auch tatsächlich museumswürdig ist. Ganz in der Tradition ihrer Vorgänger hat auch Susanne Gaensheimer hier einen selbstbewußten Standpunkt:

„Ja klar. Auf jeden Fall. Das ist eine eindeutige Behauptung, zu der ich auch stehe. Wir sind ein Museum für Gegenwartskunst. Wir müssen natürlich unserer Verantwortung bewußt sein, daß das, was wir hier zeigen, eine historische Behauptung ist, und was ich aber besonders schön finde an unserer Sammlung, ist da wir ja bis auf die späten 50er Jahre zurückgreifen können, Rauschenberg, dann später die Pop-Art, Minimalismus und so weiter, die Geschichte der Gegenwartskunst abbilden, darstellen und vermitteln. Und das finde ich einen anderen sehr wesentlichen Aspekt eines Museums für Gegenwartskunst.“

Christian Sabisch



Ai Wei Wei und Serge Spitzer, Ghost Gu Coming Down The Mountain, 2005/2006 - Foto: Axel Schneider

Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main
Dauer der Ausstellung 19.6.-9.10.2011
Eintritt für alle Ausstellungsorte zusammen: 12 Euro/6 Euro
Öffnungszeiten: Di-So 10-18 Uhr, Mi 10-20 Uhr
Internet: www.mmk-frankfurt.de