Die Wirklichkeit

Fred Herzog - "Photographs"

von Frank Becker

Man with Bandage 1968 - © Fred Herzog

Aus dem echten Leben

Fred Herzogs Farbfotografie der 1950/60er Jahre

Ein Mann steht am Straßenrand und winkt vermutlich einem Taxi. Nicht ungewöhnlich. Doch der schlanke Mann in Hose und sauberem weißem T-Shirt trägt am linken Handgelenk einen frischen Verband und am Kinn ein durchblutetes provisorisches Papierpflaster. Es gibt eine Vorgeschichte. Wir erfahren sie nicht. Aus dem Hintergrund mustert ihn mit sichtbar mißtrauischem Blick eine alte Dame mit Hut, Handtasche, Gehstock, weißen Handschuhen - und schief geknöpftem Mantel. Das Bild ist von schräg unten wie aus der Hüfte geschossen so angeschnitten, daß der Protagonist im Vordergrund beinahe aus dem Bild heraus ragt, womit die in der Perspektive klein wirkende Dame den Blick des Betrachters fängt. Eine beinahe surreale Situation, 1968 von Fred Herzog (*1930) im kanadischen Vancouver aufgenommen.
Im deutschen Bad Friedrichshall geboren und in Stuttgart aufgewachsen wanderte Herzog 1952 nach Kanada aus, wo er sich zum Fotografen ausbildete.


Elysium Cleaners 1958 - © Fred Herzog

Konsequente Dokumentation

Schon früh nahm Fred Herzog die noch junge Farbfotografie als künstlerisches Stimittel ernst und seit nun 50 Jahren fotografiert er mit sicherem Blick für die Besonderheit des Normalen den Alltag der kleinen Leute, der Bürger der unteren Mittelschicht. Die Bilder entstehen auf dem Bürgersteig, an einer Straßenkreuzung und an öffentlichen Orten wie einem öden Parkplatz, einem tristen Hinterhof, einem Café oder in einem Friseurgeschäft wie dem "Main Barber Shop", das schon bessere Tage gesehen hat, nie dringt Herzog in die Privatsphäre von Wohnungen ein. Werbeflächen,

Main Barber from Sidewalk 1968 -  © Fred Herzog
Firmenschilder, Markenzeichen, Automobile finden wie unabsichtlich dokumentarisch Eingang in die Sujets. Zeit- und Lokalkolorit machen den unwiederholbaren historischen und doch wieder zeitlosen Charakter der Fotografien aus, die in Farben leuchten, wie es sie heute tatsächlich gar nicht mehr gibt.
Herzog dokumentiert von Anfang an eine Welt, von der er zu wissen scheint, daß sie schon wenige Jahrzehnte später anachronistisch wirken wird. Er tut das mit unglaublicher Konsequenz - was ein Glücksfall für die Archive der Zeitgeschichte und die kollektive Erinnerung ist.

Verlierer und Optimisten

Wir sehen eine Menge Verlierer, Randfiguren, die sich trotz offenbarer Depression an das wenige klammern, was ihnen die Gesellschaft übrig läßt, Kinder, die in eine völlig ungewisse Welt hinein

Robson Street, 1957 - © Fred Herzog
wachsen, aber auch lebensfrohe Optimisten, denen der Glaube an ihre Zukunft förmlich aus den Gesichtern springt. Wir sehen schicke neue Automodelle, die erste Boeing 707, Hochhäuser - im Gegenzug aber abgeblätterte Fassaden, erbärmlich schäbige Straßenzüge, Wohnquartiere und Hausecken. Einige wenige fotografische Ausflüge führen Herzog nach Portland, San Francisco und nach Mexiko. Die Ergebnisse dort bestätigen, was ihm schon in Vancouver begegnet ist.

Katalogband von Rang

Eine Auswahl der Bilder Fred Herzogs ist jetzt in einem beeindruckenden, von Felix Hoffmann und Stephen Waddell für den Verlag Hatje Cantz zusammengestellten Band von Rang zu sehen, der als Katalog zu einer Ausstellung konzipiert wurde, die von November 2010 bis Januar 2011 in Berlin gezeigt wurde und die 2012 noch einmal im Museum für Photographie Braunschweig aufgelegt wird. Es ist ein Band, in dem zu blättern man nicht müde wird. Ein brillanter Fotograf, ein hervorragend gemachter Katalog. Einen Musenkuß wert.




Fred Herzog - "Photographs"

2011 Hatje Cantz / C|O Berlin, 192 Seiten mit 92 Farbfotografien und sechs s/w-Fotos, Text in deutsch und englisch, Leinen mit aufkaschierten Fotos auf Vorder- und Rückendeckel
ISBN 978-3-7757-2811-9 € 29,80


Foot of Main 1968 © Fred Herzog



Black Man Pender 1958 - © Fred Herzog


 
  New Pontiac 1957 © Fred Herzog



Family 1967 © Fred Herzog


Weitere Informationen: www.hatjecantz.de