Gershwin, Holst und Bernstein

Das Sinfonieorchester Wuppertal unter Toshiyuki Kamioka in Bestform

von Frank Becker

Foto © Karl-Heinz Krauskopf

Grandios!
 
Das Sinfonieorchester Wuppertal
glänzte unter seinem Chef Toshiyuki Kamioka
mit Bernstein, Gershwin und Holst
 

Delikat
 
Die Kompositionen, die Chefdirigent Toshiyuki Kamioka für das Hauptprogramm des letzten Sinfoniekonzerts der Saison 2010/11 zusammengestellt hatte, sind wahrhaftig gewaltig. George Gershwins „Rhapsody in Blue“ und Gustav Holsts „Die Planeten“, beides Musik für große Klangkörper, wären jeweils einen eigenen Konzertabend wert gewesen, umgeben von marginaleren Stücken als Leonard Bernsteins Ouvertüre zu dessen Musical „Candide“. So aber stimmte Bernsteins schwungvolles Stück temporeich und temperamentvoll auf zwei wirkliche Giganten der Konzertliteratur des 20. Jahrhunderts ein.
Aus dem Dezember 1959 stammt die ausschlaggebende Schallplatten-Aufnahme der „Rhapsody in Blue“ – Leonard Bernstein hatte sie mit dem Columbia Symphony Orchestra aufgenommen – und damit für weitere Aufführungen Zeichen gesetzt - als Pianist und Dirigent. Gestern nun trat Toshiyuki Kamioka ans Pult des Sinfonieorchesters Wuppertal, das sich der 42 Jahre alten Vorgabe bis ins Detail als würdig, ja ebenbürtig erwies. Vom unter die Haut gehenden Klarinetten-Glissando zu Beginn, über delikateste Soli der gestopften Trompete und Posaune, die Stimme der Oboe und den zu Herzen gehenden Schmelz der Solo-Partie des Konzertmeisters bis hin zu den mal gewaltigen, dann wieder zarten Tutti des bestens eingestellten, ja bis in die Haarspitzen motivierten Orchesters stimmte wirklich alles. Kamioka stellte mit dieser Interpretation von Gershwins wohl populärstem Werk ein weiteres Mal seinen und den hohen Rang des Wuppertaler A-Orchesters unter Beweis. Ein erhebendes Erlebnis für das Publikum im am Sonntagvormittag nahezu ausverkauften Großen Saal der Historischen Wuppertaler Stadthalle.
Den Klavierpart hatte man Vanessa Wagner anvertraut – eine nicht nachzuvollziehende Entscheidung, zeigte die zarte Pianistin doch in ihrer Gershwin-Interpretation kaum mehr als ordentliche Fähigkeiten. Verspielt, mit wenig überzeugendem Anschlag, überwiegend nicht mit, sondern neben dem Orchester spielend und gegen Ende sogar gefährlich im Tempo abweichend, zeigte sie sich als schwächster Teil dieser ansonsten phantastischen Aufführung.
 
Bombastisch
 
Gustav Holst konnte 1914-17 während der Arbeit seinem großartigen, zukunftweisenden Werk „Die Planeten“ nicht ahnen, daß seinerzeit noch einer fehlte – Pluto wurde erst 1930 entdeckt. Andererseits wurde der Nachzügler mittlerweile auch schon wieder zum Zwergplaneten degradiert, fehlt also in der illustren, von Holst musikalisch illustrierten Riege der Planeten nicht wirklich. In sieben Sätzen – die Erde hatte er ausgelassen – maß Holst jedem der sieben Planeten seines op. 32 Charakter und Musik so zu, daß vor geschlossenem Auge die grandiose Welt des Sonnensystems sichtbar wurde. Gewaltig eröffnet der Kriegsbringer Mars den stellaren Reigen, ihm folgen milde die idyllische Friedensbringerin Venus, der flink schwirrende Götterbote Merkur, der volkstümliche, lebenslustige Jupiter, der weise, müde Saturn als Botschafter des Alters, der vielgesichtige Magier Uranus und schließlich Neptun, zu dessen mystischem Klang ein aus dem Hintergrund ertönender, nicht sichtbarer Chor von Frauenstimmen tritt (hier der sensible Damenchor der Wuppertaler Bühnen).
In seiner Gesamtheit sind „Die Planeten“ von berauschender Wirkung. Matthias Corvin zitiert im Programmheft Stimmen, die das Werk als „Musik zu einem nie gedrehten Film“ bezeichnen. Dem ist außer dem Hinweis auf die viele Jahrzehnte später populär gewordenen Filmmusiken zu u.a. Star Wars (John Williams), Starship Troopers (Basil Poledouris) u.a.m., die sich alle an Gustav Holst orientierten, kaum etwas hinzuzufügen. Die Aufführung durch das Sinfonieorchester Wuppertal kann nicht anders als bombastisch bezeichnet werden, im positiven Sinne, notabene. Das fegte wie ein gewaltiger Sturm durch den Saal (wieso fallen mir ausgerechnet jetzt die Bombastik-Buff-Bomben der Gundel Gaukley ein?), lullte in Glück ein und erhob die Zuhörer zu den Sternen. Prachtvoll, üppig, herrlich!


Foto © Karl-Heinz Krauskopf
 
Die Konzertwiederholung heute Abend sei so gut wie ausverkauft, hieß es gestern. Versuchen Sie dennoch, eine Eintrittskarte zu bekommen – wer eine hat und dieses Konzert erleben kann, darf sich glücklich schätzen.