Zum Reden gebracht, zur Ordnung gerufen

Theater Bonn mit Handkes Sprechstück „Kaspar“

von Martin Hagemeyer
Zum Reden gebracht, zur Ordnung gerufen
 
Das Theater Bonn läßt bei Handkes Sprechstück „Kaspar“
nicht nur Worte sprechen
 
Kaspar. Von Peter Handke
 
Inszenierung: Alexander Riemenschneider – Ausstattung: Rimma Starodubzeva – Musik: Tobias Vethake – Licht: Lothar Krüger – Dramaturgie: Stephanie Gräve
Besetzung: Anastasia Gubareva – Nikolai Plath – Hendrik Richter – Nina V. Vodop’yanova
 
„Die Worte, aus denen die Sprechstücke bestehen, geben kein Bild von der Welt, sondern einen Begriff von der Welt“: Peter Handke läßt in den knappen Äußerungen zu seinen „Sprechstücken“ keinen Zweifel, daß der Zuschauer dort keinen unmittelbaren Bezug zu seiner (oder überhaupt einer) Lebenswirklichkeit erwarten darf. Und wer Handkes Stück „Kaspar“ in der Absicht anschaut, Fakten zum Schicksal der historischen Figur Kaspar Hauser zu erfahren, muß enttäuscht werden.
 
Und doch ist es nicht nur abstrakt, was das Theater Bonn mit „Kaspar“ beim NRW-Theatertreffen in Wuppertal präsentiert (es ist übrigens die letzte Aufführung der Produktion). Schon der Autor bietet durchaus eine Handlung, in der er den Fall des unzugänglichen Findlings, der 1828 in Nürnberg auftauchte und fünf Jahre später gewaltsam zu Tode kam, für seine Zwecke adaptiert: Auch hier gerät ein Unbekannter in eine in sich geschlossene Gesellschaft, wird als Fremdkörper behandelt, ringt um Anerkennung. Worum es Handke geht: Der Eindringling ist stumm, wird von seiner neuen Umwelt zur Sprache, zum Reden gebracht und damit unweigerlich auch ideologisch infiltriert. In der Version, für die sich nun der junge Regisseur Alexander Riemenschneider entschieden hat, geht die Geschichte aber noch weiter – denn der Integrationsversuch scheitert. Und hier wird es spannend.
 
Kaspar kämpft. Hendrik Richter zeigt in der Titelrolle den Prozeß des Eintretens in die Sprache und damit in die Gesellschaft der sogenannten „Einsager“ großartig als körperliche Schwerarbeit. Wenn er fiebrig umherrennt, unvermutet stoppt und schweißüberströmt mit glücklicher Miene mit einem Satz, seinem einzigen, experimentiert: „Ich möcht ein solcher werden, wie einmal ein andrer gewesen ist.“ – dann vermittelt sich packend Kaspars Eifer, zu lernen und sich einzugliedern. Umso schmerzlicher die mißlingenden Formulierversuche, die gar nicht ausbleiben können, weil ihm die Satzstrukturen ohne Sinn und Verstand antrainiert werden: „Der Schnee trifft, aber genügsam. Die Fliege läuft über das Wasser, aber maßvoll.“ Kaum hat Kaspar sich von der fremden Welt „Sprache“ ein Stück mehr erobert, verschlägt es sie ihm wieder. Und umso niederschmetternder am Ende die Sinnlosigkeit der Mühen: Der Kämpfer bleibt einsam.
 
Richter tut gut daran, dem aus der Welt Gefallenen clowneske Züge (zwar nicht lustige) zu verleihen und Peter Handke nicht zu folgen, der insistiert hatte, Kaspar habe „keine Ähnlichkeit mit einem Spaßmacher“. Auch seine Anweisung, die „Einsager“ sollten auf der Bühne nicht zu sehen sein, sondern „vielleicht vom Band“ kommen, macht Regisseur Riemenschneider sich nicht zu eigen (womit er freilich nicht der Erste ist): Anastasia Gubareva, Nikolai Plath und Nina V. Vodop’yanova treten sehr leibhaftig auf und überschütten Kaspar mit verzwickter Sprachphilosophie: „Ein Tisch, der auf dem Platz des Schranks steht, ist ein Stuhl, wenn du darauf sitzt, oder?“ Und bald auch mit Phrasen, die wie harmlose Deutsch-Lektionen klingen, aber unverkennbar ein nützliches Mitglied der Gesellschaft heranziehen wollen: „Die Arbeit immer neu sehen. Nur wer gesund ist, kann viel leisten. Unordnung bewirkt die Empörung aller anständig denkenden Menschen.“
 
Oft als unwesentlich für die Schauspielerleistung abgetan, muß diese Bemerkung hier erlaubt sein: Es muß für die Darsteller ein Gewaltakt gewesen sein, diesen Text sich anzueignen und zu spielen, der über Sprache reflektiert und gleichzeitig das Material für diese Reflexion ist – oft gegen alle Regeln der Grammatik („Kerze. Rauhreif. Spannen. Erwartest. Sträubst.“) oder des Sinns („Eine Katze ist kein Weiterkommen.“). Aus selbstbezüglichen Wortkaskaden ein körperliches Erlebnis zu machen: Das ist vielleicht das besondere Verdienst einer solchen Inszenierung.

Weitere Informationen: www.theater-bonn.de