Ansichtssache
Die DDR in Bildern von Thomas Hoepker Sie war immer nur der muffige kleine Bruder der im Konsum-Glanz strahlenden, weltoffenen Deutschen Bundesrepublik nebenan, die spießig militaristische Fortführung Preußens mit sozialistischen Mitteln, eine angebliche Diktatur des Proletariats, doch de facto eine brutale Diktatur des kommunistischen Apparatschik, die sich perfide ein biederes Gesicht gab. Die DDR. Ein Gesicht, das oft porträtiert wurde, doch selten mit so viel Sensibilität für die Wirklichkeit wie von Thomas Hoepker. Der 1936 geborene Fotograf bereiste den zweiten deutschen Staat, die Ostzone, die SBZ, den Arbeiter- und Bauernstaat, die DDR (fünf Namen für das gleiche Gebilde) seit 1959 und hielt seine Impressionen im Bild fest. Nach dem Ende des politischen Experiments - denn anders kann man den Plaste-Staat von Moskaus Gnaden ja kaum nennen - gab es spontan eine unerhörte Zahl von fotografischen Aufarbeitungen der 40 Jahre des "real existierenden Sozialismus" auf deutschem Boden. Abrechnungen folgten Nostalgie-Bände, Dokumentationen standen neben Kuriositäten-Sammlungen - doch alle waren ein Abgesang auf ein abgeschlossenes Kapitel der Geschichte, das durch viele Todesopfer in Minenfeldern, an Mauer und Stacheldraht einen besonders bitteren Beigeschmack bekommen hatte.
22 Jahre danach
Daß jetzt, 22 Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands, ein weiteres opulentes Buch mit Fotografien aus der und über die DDR, ein ungeschminktes Porträt des selbsteingemauerten Staates, der von Mangel und Zensur, Parteidoktrin und Willkürjustiz bestimmt war, erscheint, wirft keinesfalls nur ein weiteres, in der Masse verschwindendes Produkt auf den Markt. Wir bekommen mit diesem Band, der auch Katalog mehrerer Ausstellungen im Deutschen Historischen Museum, der Galerie Hiltawsky, Berlin, im Haus der Geschichte Bonn und in der Gedenkstätte Berliner Mauer, Berlin ist, die Zustandsbeschreibung einer Welt, die man so schnell wie möglich vergessen möchte, die man aber um Himmels willen nie vergessen sollte. Denn die nach der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft nahtlos anschließende zweite Diktatur auf deutschem Boden im 20. Jahrhundert muß als Warnung vor möglichen späteren politischen Entgleisungen in der kollektiven Erinnerung bewahrt bleiben. Ein anderer Grund ist natürlich Thomas Hoepkers 75. Geburtstag, der damit angemessen gefeiert werden kann. Die Faszination des Schreckens
Propaganda und Katzengold-Glanz All das, das Verlogene der Propaganda, der Katzengold-Schimmer scheinbaren Wohlstandes, die Hoffnungslosigkeit der politischen und staatswirtschaftlichen Situation, das oben bereits erwähnte Spießertum, die Trostlosigkeit in vielen Gesichtern und die Tristesse des sozialistischen Wohnungsbaus - aber auch der Optimismus bei vielen, die unerschütterliche Zuversicht bei anderen und der intellektuelle Durchhaltewillen mit Blick aufs größere Ziel, das der Veränderung. Nicht ohne Grund haben Berufene wie Wolf Biermann, Günter Kunert und Hoepker selbst Texte beigesteuert. Auch Hoepkers 2002 gestorbene Frau, Eva Windmöller ist mit einem Essay vertreten. Schon in der Deckelillustration ist die ganze Illusion präsent: ein Plastekissen als Dekoration auf der hinteren Ablage eines Trabant 601, der in unerhörter Hybris ein "DDR"-Nationalitäten-Schild trägt. In welches Ausland glaubte man damit reisen zu können? Außer den ebenso reglementierten Nachbarn Polen und CSSR gab es wenige Möglichkeiten. Und auch ohne das Schild hätte man die im Vergleich gut gestellten Ostdeutschen ohnehin überall erkannt. Doch für DDR-Bürger waren wirkliche Reise-Traumziele wie die BRD gleich nebenan im Westen oder gar Italien so unendlich weit weg, daß sogar Sibirien leichter erreichbar gewesen wäre. Und doch sind die 40 Jahre DDR ein Stück deutscher Geschichte, das man ebensowenig ausblenden kann wie die Aufklärung, das Kaiserreich, die Weimarer Republik, den Nationalsozialismus oder schließlich die Bundesrepublik nach 1945.
Ein abgeschlossenes Kapitel Dieses abgeschlossene, abgewickelte, nicht aber abgelegte Stück Geschichte hat Kristall-, Stern- und magnum-Fotograf Thomas Hoepker dokumentiert, von den Feiern zum 10. Jahrestag der DDR, die sich stets und ständig feierte, bis zu den Neonazi-Glatzen Ost gleich nach der Wende und mit Porträts von Wolf Biermann, Günter Kunert, Stefan Heym, Bettina Wegner, Anna Seghers, Reiner Kunze, Katharina Thalbach und vielen andern mehr. Er hat Menschen und Schaufensterauslagen fotografiert, Städte und Straßen, Häuser, Aufmärsche und viele Propaganda-Tafeln. Es ist ein berührendes Bilderbuch geworden. Die Texte sind in deutscher und englischer Sprache abgedruckt.
Thomas Hoepker - DDR Ansichten
© 2011 Hatje Cantz, 256 Seiten, 201 Abb., davon 117 farbig, 28,80 x 26,80 cm, gebunden, ISBN 978-3-7757-2813-3
35,- € / 47,90 sFr
Weitere Informationen unter: www.hatjecantz.de/ sowie: www.dhm.de/ausstellungen/ - www.hdg.de/bonn/ausstellungen/ - www.hiltawsky.com/ - www.berliner-mauer-gedenkstaette.de |