Lokale

von Hanns Dieter Hüsch

© André Poloczek - Archiv Musenblätter
Lokale
 
Sagen Sie mal, haben Sie auch Freunde, die alle fünf Minuten das Lokal wechseln? Ich habe von denen Dutzende. Vielleicht ist Ihnen das noch gar nicht aufgefallen, aber mir muß so was besonders auffallen, denn erstens komme ich viel rum, so in Kneipen, und zweitens bin ich genau das Gegenteil, ich bleibe jahrelang an ein und demselben Stammtisch hocken. Selbst bei Hochwasser sitze ich unbeweglich da: ein Pils, eine Birne. Wenn ich reinkomme, schreit der Ober schon: »Ein Pils, eine Birne!« Warum soll ich also dauernd die Kneipe wechseln, obwohl mir viele sagen: »Na, hm, nö, da kann man doch nicht hingehen, wo du hingehst, da gehe ich dann schon lieber, oder weißt du was eine schöne Kneipe ist, auch nicht viel teurer, aber wo du immer hingehst, also sei mir nicht böse, ja, hm, nö.« In der eigenen Stadt ist das ja nicht so schlimm, da hat man genug Auswahl und Abwechslung. Aber wenn man jedes Jahr in eine relativ fremde Stadt kommt, wo man jahrelang in den »Silbernen Esel« gegangen ist, dann freut man sich regelrecht darauf. Und wenn man ankommt und sagt: »Gehn wir hinterher wieder in den »Silbernen Esel«?«, dann heißt es: »Du, wir gehen jetzt immer in den Goldenen Schlüssel«, weißt du, in den »Silbernen Esel«, du, da kann man einfach nicht mehr hingehen, du schon gar nicht, also die Leute, die jetzt dort verkehren, ganz abgesehen davon, daß uns der Heinz, du kennst ihn ja, regelrecht rausgeekelt hat, wir gehen schon seit drei Monaten jetzt in den »Goldenen Schlüssel«, nichts Besonderes, aber nett, bißchen Schicki-Micki, aber das kann man ja übersehen, vor allen Dingen echt, weißt du, ganz alte Kneipe.« »Gut«, sag ich dann, »auf in den »Goldenen Schlüssel« Komm ich im nächsten Jahr wieder, in diese wirklich uralte, mit Gassen und Arkaden bestückte wunderschöne Stadt, rufe ich schon am Bahnhof, bei der Abhol-Begrüßungs-Umarmung: »Gehn wir wieder in den »Goldenen Schlüssel? « »Nein, wir gehen neuerdings in den »Alten Hut«. Du, im »Goldenen Schlüssel«, das war ja zuletzt so was von reaktionär, das kannst du dir nicht vorstellen, und was da zuletzt verkehrte, das konnten wir uns nicht mehr antun, beim besten Willen nicht, wir gehen jetzt hinterher immer in den »Alten Hut«, und du, die sind ja so was von nett, ich meine, es ist nicht billig, aber die sind ja so was von nett, übrigens du kennst sie, Elke und Roland, haben früher zusammen Lieder gemacht, du kennst sie, die haben in der Kneipe mit Apfelsinenkisten angefangen, die sind so was von nett, du, ich weiß gar nicht, warum wir da nicht schon früher hingegangen sind, man muß ja auch mal die eigenen Leute unterstützen, du, es wird dir gefallen.« »Also auf«, sage ich, »auf in den »Alten Hut« zu Elke und Roland.« Logisch, daß ich im Jahr darauf wieder leicht und locker frage: »Gehen wir nach der Vorstellung wieder in den »Alten Hut« zu Elke und Roland?« Kleine Pause. Kühles Schweigen. Man geht ein paar Schritte und dann: »Du, die haben sich getrennt, ganz merkwürdige Geschichte, ganz merkwürdig, der Laden ist verkauft, das heißt, zuletzt konnte man da nicht mehr hingehen, nur noch Theaterleute, »Wie  komme ich an?«, »Wie kommst du an? «, das hältst du ja im Kopf nicht aus. Nein, wir gehen jetzt wieder in den »Silbernen Esel«, das macht jetzt der Jürgen, hervorragend, du, hervorragend, und das Essen hinreißend, und eine Atmosphäre, endlich wieder einmal eine Atmosphäre, nicht, Edmund?« »Ja genau«, sagt Edmund, »eine Wahnsinns-Atmosphäre.« Wetten, daß, wenn ich das nächste Mal wieder in diese entzückende Stadt komme und vorsichtig frage: »Gehn wir vielleicht wieder in den »Silbernen Esel«?«, es bestimmt heißt: »Sei uns nicht böse, aber das war nicht mehr zu machen, zuletzt nur noch Geschäftsleute. « Ich sollte dann vielleicht doch mal auf der Stelle kehrtmachen und in meine alte Stammkneipe gehen, wo mein Freund, der Ober, schon wenn ich durch die Tür komme, gleich ruft: »Ein Pils, eine Birne!«



© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Es kommt immer was dazwischen" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung