Brittas Wandlungen

von Horst Wolf Müller
Brittas Wandlungen
 
Als ich Britta das letzte Mal sah, verstand sie sich offenbar als Rezitatorin. Sie trat bei einer Lesung mit einem Autor zusammen auf, der literarische Texte über das Schachspiel vorstellte und agierte als seine Sprecherin. Sie trug an diesem Abend einen schwarzen Pagenanzug, die Haare kurz geschnitten, Jeanne d árc oder Jean Seberg, die auf das Wesentliche konzentrierte Frau eben. In den Pausen rauchte sie. Nach der Lesung stellte sie mir eine belanglose Frage, auf die ich versehentlich eine belanglose Antwort gab und so dem Gespräch eine Intensivierung verwehrte. Britta hatte nicht sehr gut gelesen, sie ist eigentlich kein expressiver Typ, und die Rolle der Schauspielerin mit existentiellem Touch, die ganz im Ausdruck lebt, liegt ihr nicht.
 
Ich nannte sie immer Pretty Britta, weil ihr hübsches Gesicht über viele Jahre kaum Lebensspuren erkennen ließ. Die Wandlungen waren bei ihr anderswo eingezeichnet.
Ich habe auf sie immer etwas ungeschickt reagiert. Sie drückte ihr Interesse an mir gern in Form eines Understatements aus, und ich hab das nicht verstanden und den Desinteressierten gespielt. Dabei gefiel sie mir.
Sie war eine Moselschönheit, hätte dort auch als Winzerkönigin Figur gemacht, wenn ihr das nicht zu seicht erschienen wäre.
Denn sie war von Anfang an auf akademische Weihen versessen, auf intellektuellen Feinschliff. Mit Schelskys Vorwurf, die Intellektuellen seien Priester und zelebrierten, während andere die Arbeit taten, konnte sie sich nicht anfreunden. Sie wollte arbeiten und dann erst geistig funkeln. Als ich sie kennenlernte, muß sie noch studiert haben, aber nebenbei arbeitete sie als Meinungsforscherin. Ermittelte, was unterschiedliche Menschen über unterschiedliche Produkte dachten. Nahm gelegentlich die Fragebögen in den Urlaub in der Bretagne mit und begann die Befragten, wenn sie nicht zuhanden waren, selbst zu erfinden. Schuf mit nahezu dichterischer Kraft ein breites Spektrum von Meinungen und Apercus zu Windeln, Diätsalz, Müslis und Riechölen. Stiftete eine Freundin, die für das gleiche Institut arbeitete, zu ähnlichen Dichtungen an und verriet alles durch einen Begleitbrief an die Freundin, den diese von den Interviews unvorsichtigerweise nicht trennte und in dem zu lesen war: „Nun habe ich wieder zehn Scheißinterviews gedichtet, schicke sie bitte schnell nach München.“
Damit flog der Schwindel auf, und beide waren ihren Job los.
 
Britta arbeitete aber schon eine Weile bei ihrem Arnd (den sie ohne Aufhebens geheiratet hatte) in der Computerbranche. Als sie sich von Arnd nach ein paar Jahren wieder trennte, hatten auch die Computer keine großen Chancen mehr bei ihr. Nur Redewendungen wie „So leicht bin ich nicht zu programmieren“ oder „Bei uns hat einfach die Software nicht gestimmt“ erinnerten an die Zeit mit Arnd und die Programme, die sie mit ihm gebastelt hatte.
Britta reflektierte ihre Beziehungen sprachlich. Als sie mit dem Soziologen Herbert liiert war (Sie haben später auch geheiratet, für drei Jahre), habe ich sie von der „inzüchtigen Szene der Uni“ reden hören und vom „Diskurs der planlosen Selbstfortschreibung“, und zwar stets so, als wisse jedermann, was mit solchen Begriffen ausgesagt wird. Doch klangen diese Wörter aus ihrem Munde eher wie eine unbewältigte Sprachmasse, wie ein nicht ganz abgekühlter Brei, den man schlucken wird und muß.
 
Aber wie viele Menschen gibt es überhaupt, aus deren Mund sich Soziologendeutsch oder Informatikerdeutsch wie Muttersprache anhört! Das sind Kings der Branche, und die kann man zählen.
Hier zeigte sich deutlich, daß Britta zwar emanzipiert war, aber nie die weiteren Programmschritte (Gehe zu!) zur Feministin hin getan hatte. Wahre Feministinnen treten nicht sprachlich in den Troß von Männern, sondern wirken mit an der Erschaffung einer unverkennbaren Frauensprache, bis sie nicht mehr verstanden werden.
Frau wird schon Mittel und Wege finden, sich Männern auch weiterhin zu verdeutlichen. (Es heißt allerdings, die Regale in den Buchhandlungen mit Frauenliteratur würden schon wieder kleiner.)
Britta liest das Zeug ohnehin nicht. Alle ihre großen Leseerlebnisse sind Männerbücher, sei es nun Niklas Luhman oder Klaus Theweleit, Sloterdijk, Peter Weiß oder Gabriel Garcia Marquez. Wenn sie schriebe, schriebe sie wie einer von ihnen. Britta war es auch, die mich zu der Bemerkung veranlaßte, das globale Ideal der Frau sei ein Männlichkeitsideal, allerdings ein enthormonisiertes.
Im Augenblick soll Britta mit einem regionalen Grünen befreundet sein, der früher aktiv bei Greenpeace gekämpft hat. Man kann das auch daran erkennen, daß er von ihr, begegnet er ihr im Vollwertrestaurant an der Kasse oder auf einem Gang, in einem höflichen Schnellgespräch gefragt wird, ob man was gegen das Abschlachten der Wale oder gegen den allgemeinen Ölwechsel in der Nordsee tue, oder ob man sich da auch nur mit laschem Sympathisantentum zufrieden gebe.
 
Ich habe auf ihr Tablett gestarrt, ihre Salatzusammenstellung bewundert und geantwortet, daß ich mir demnächst in der Schweiz ein Sonnenmobil kaufen werde. Daß ich mir damit einen Blick der Bewunderung erkauft habe, ist mir erst hinterher aufgefallen, als wir an weit auseinander liegenden Tischen unsere Salate verzehrten. Dabei ist mir aufgegangen, daß mir an Brittas Bewunderung schon immer gelegen war. Die Sache mit dem Sonnenmobil ist einfach nur kühn ausgedacht gewesen, Bluff, wie man auch sagt. Aber solche Dinge zählen.
 
 
 
© Horst Wolf Müller - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2011
Redaktion: Frank Becker