Atemberaubende Verbalkonstruktionen

Jochen Malmsheimer mit „Wenn Worte reden könnten oder: 14 Tage im Leben einer Stunde“

von Frank Becker

Foto: www.jochenmalmsheimer.de
„Hat es sich Ihnen erschlossen,
daß ich gerne spreche?“
 
Jochen Malmsheimers wilde Wortkaskaden in
„Wenn Worte reden könnten“
 
 
Volles Haus in der Remscheider Klosterkirche, Jochen Malmsheimer zieht Sprachliebhaber an wie Honig – ich betone Honig! – die Fliegen. Malmsheimer wird in wenigen Tagen 50, sein Programm „Wenn Worte reden könnten oder: 14 Tage im Leben einer Stunde“ auch schon 11. Aber das macht nichts, weil es/er gut ist.
 
Atemberaubende Verbalkonstruktionen

Eingeleitet von heftigen Mahnungen an, ja ernstzunehmend konsequenten Drohungen gegen Celluartelefonbesitzer, unter denen er allenfalls Notärzten ein „Düdelüdelüt“ nachsehen würde – die Benutzung des Satzes „Lassen Sie mich durch, ich bin Arzt!“ scheint ihm der einzige Grund überhaupt, das Fach Medizin zu studieren -  und gegen einen Pressefotografen („Bitte nicht blitzen, ich hatte es im Vorfeld gesagt! Ne Kamera vom Wert eines Kleinwagens vorm Bauch, aber keine Ahnung, wie man damit umgeht!“) schießt Jochen Malmsheimer in hohem Tempo und bis zur Atemlosigkeit Wortkaskaden ab, röhrt, schreit, sprudelt. Er zerkaut Sätze und Worte, jongliert und spielt mit archaisierenden Sprachformeln, zerhackt und klebt Verbalkonstruktionen und nutzt exzessiv zum allgemeinen und merkbar eigen Vergnügen seinen beneidenswerten Fundus untergegangener Wörter.
 
Eine Kastanie ist eine Kastanie ist eine Kastanie!

Hat man Ihnen als Kind auch vorgaukeln wollen, aus einer Kastanie könne man mit hineingesteckten Streichhölzern eine Kuh oder einen Igel machen? Na klar. Aber „Eine Kastanie ist eine Kastanie ist eine Kastanie!“ Das muß heraus und bricht sich in einem Schrei aus des Künstlers Kehle Bahn. Klingt auch Ihnen noch im Ohr, was Ihnen die Generation „Ommma“ vorgebetet hat: „Früher war alles besser!“? Kenn wir doch. Gleichzeitig hieß es zwar auch „Früher – da gab es nichts, aber auch gar nichts!“ Aber auch das war besser. Malmsheimer liebt und kultiviert Um- und Beschreibungen, übt sich, mehr noch: suhlt sich genüßlich in Übertreibungen läßt keinen Superlativ aus, den er nutzen könnte. Kleines Beispiel aus seiner aberwitzigen, zum Schreien komischen Hunde-Szene, die sich ansonsten dem Versuch der sachlichen Beschreibung durch Sprachgewalt entzieht: „Dem Hunde ist ja das Laufen immanent – dem Halter nicht zwingend. Ich bin ja sein Halter, dem Hunde langledrig verbunden.“
 
Sprach-TGV

Was Malmsheimer mit Hochgeschwindigkeit erzählt - man nennt ihn auch den TGV der deutschen Sprache - könnte ein anderer leicht in einem Drittel der Zeit und mit ebenso gedritteltem Wortvolumen absolvieren, jedoch nicht annähernd so kurzweilig. Daß er dabei eine Unzahl wahrhaft köstlicher, ja kostbarer Leerformeln benutzt, an die sich sonst keiner herantraut, macht die Sache noch witziger. Deshalb geht man ja zu Malmsheimer und nicht irgendwo anders hin. Wer sonst käme darauf, Bärbel Höhns (kenne Sie die noch?) Frisur mit einem verstorbenen Opossum zu vergleichen oder die von „Ommmas“ bevorzugten Mephisto-Schuhe „fehlfarbene Fußschatullen“ zu nennen? Apropos Opossum: hier benutzt der humanistisch gebildete Kabarettist im Plural selbstverständlich das korrekte „Opossa“.
 
Lambrusco und Nudelsalat

Und dann sein Lieblingsthema, die Wahrheiten über 70er Jahre – und jeder erinnert sich: an orange oder moosgrüne Telefone, drei Fernsehprogramme (in schwarz/weiß) mit Lex Barker, Robert Taylor und Karen Zebroffs Turnstunde, den unvermeidlichen Sitzsack in jeder Wohnung, Helanca und Popeline und an die Werbung für Glänzer, Playtex mit Zauberkreuz, Hüfthalter, die ihre Trägerinnen umbrachten, Palmolive mit Tilly und Ajax mit Klementine. Es war anfangs noch die Zeit von Ahoi-Brause und Nappo-Block, später von Lambrusco und Nudelsalat auf Kellerfeten, als für ihn und seine Generation die Sexualität erwachte und die Musik (einschließlich Verkehrshinweis) noch selbst auf Cassette aufgenommen wurde. Sein Publikum erkennt alles dankbar wieder und quittiert es mit kreischendem Vergnügen.
 
„Hat es sich Ihnen erschlossen, daß ich gerne spreche?“ Die Frage gegen Ende ist obsolet, zumal nach der linguistischen Schlacht, die Malmsheimer mit der Titelgeschichte „Wenn Worte reden könnten oder: 14 Tage im Leben einer Stunde“ zuvor geschlagen hat. Ein schreckliches Gemetzel!
Und alle Deutschlehrer im Saal verneigen sich still und flüstern ihm nach: „Grimm sei Dank!“
 
Weitere Informationen unter: www.jochenmalmsheimer.de