Gruselig schön: "Nosferatu"

Stummfilm mit Musik beim Sinfonieorchester Wuppertal

von Frank Becker

Moin!
(K)eine Symphonie des Grauens

Gruselig schön: "Nosferatu"
Musik von
José Maria Sánchez-Verdú

 


Film-Regie
: Friedrich Wilhelm Murnau – Drehbuch: Henrik Galeen – Kamera: Fritz Arno Wagner, Günther Krampf – Ausstattung: Albin Grau – Original-Musik: Hans Erdmann – neu vertont von José Maria Sánchez-Verdú
Sinfonieorchester Wuppertal unter Mark-Andreas Schlingensiepen mit Chorstimmen (n.n.) – Fotos: Karl-Heinz Krauskopf
Besetzung: Max Schreck: Graf Orlok - Alexander Granach: Knock, ein Häusermakler - Gustav von Wangenheim: Hutter - Greta Schröder: Ellen, seine Frau - Max Nemetz: Kapitän - John Gottowt: Professor Bulwer, ein Paracelsianer

Aufführung am 13. Juli 2011
 
Der Stummfilm „Nosferatu“ von Friedrich Wilhelm Murnau (1888-1931) aus dem Jahr 1922 ist mit seiner übertriebenen Dramatik, wildem Augenrollen, Grimassieren und Händeringen heute nicht mehr als eine cineastische Kuriosität, schrecklicher Kitsch, wenn man so will, wenn auch zur Zeit seiner Entstehung ein Meilenstein der Filmgeschichte. In fünf Akten erzählte Murnau die altbekannte Dracula-Story von Bram Stoker nach, verlegte sie ins Deutschland des Biedermeier und schuf so ungewollt ein auch zeitgeschichtliches Dokument, denn die Film-Drehorte in Lübeck und Wismar sind in dieser Form längst nicht mehr vorhanden.
 
Erzählt wird die Geschichte des Immobilien-Agenten Hutter und seiner Frau Ellen, die unter dem Unstern stehen, in die magische Gewalt des Grafen Orlok, eines transsylvanischen Vampirs zu geraten. Hutter reist im Auftrag von Makler Knock in die Karpaten, um Orlok ein Haus in der fiktiven Ostseestadt Wisborg zu vermitteln. Orlok kauft das angebotene Haus, weil er ein Bild Ellens entdeckt, die gieriges Verlangen in seiner vampirischen Natur entfacht. Bei der Schiffs-Reise in den Norden begleiten ihn Tod und Pest. Wisborg versinkt im Pest-Chaos, und nur das Blut einer reinen, unbefleckten Frau kann ihn zu dem verhängnisvollen Fehler verführen, den Sonnenaufgang zu verpassen, was seinen Tod bedeutet.


Orlok vernascht Ellen - Foto © Karl-Heinz Krauskopf

Ellens wegen, die sich hochdramatisch opfert, also vom Ehemann wohl noch unberührt ist, geschieht genau das. Der tragisch zum Nachtdasein und Blutsaugen verdammte fiese Nosferatu verpufft im Morgenlicht, Ellen stirbt ausgesaugt in den Armen des geliebten Mannes, Hutter verzweifelt, doch Wisborg ist gerettet. Besonders Max Schreck ist in seiner anämischen Rolle grandios, Granach setzt als irrer Diener Nosferatus hervorragende Akzente (wer hat vor fast 90 Jahren bloß diese phantastischen seitwärts schließenden Augenhäute gemacht? - Gilt auch für Max Schreck in der Orlok-Maske), und die Ausstattung ist schlicht genial. Selten konnte man später eine so perfekte Biedermeier-Kulisse mit Kleidern, Frisuren, Tapeten, Möbeln, ja sogar in Details wie Theodor Körners Konterfei, gerahmt an der Wand finden. Für mich das Schönste des ganzen Films.


Aber auch Kameraführung und Schnitt – wenn auch nicht mit dem „Kabinett des Dr. Caligari“ zu vergleichen – sind beachtlich. Nosferatus Auftritte, gleich ob aus dem Sarg, vor der Schiffsluke, im Treppenhaus oder über der sich hingebenden Ellen haben schon was.
José Maria Sánchez-Verdú hat das Ganze mit endlosen schwebenden Glissandi, wuchtigen Schlägen und vor allem ätherischen Chorstimmen neu vertont. Hans Erdmanns Original-Musik hätte es sicher auch getan. Aber von einigen erfahrenen Konzertbesucherinnen, die keines der jährlichen Filmkonzerte in Wuppertal versäumen, war zu erfahren, daß vor allem der Horror, über den man heutzutage eigentlich nur noch lachen kann, gerade durch die neue Musik seine gewünschte Wirkung bekam: "Wir haben uns richtig schön gegruselt." Mark-Andreas Schlingensiepen leitete das Sinfonieorchester konzentriert durch die höchst diffizile Partitur – lang anhaltender Applaus für ihn, das Orchester und den anwesenden Komponisten war der verdiente Lohn.


Sinfonieorchester Wuppertal, Mark-Andreas Schlingensiepen (re. erhobener Arm), José Maria Sánchez-Verdú (Mitte, helle Hose) 
Foto © Karl-Heinz Krauskopf

Sie können übrigens den ganzen Film (mit englischen Zwischentiteln) auf YouTube sehen: www.youtube.com/watch?v=rcyzubFvBsA

Filmbilder mit freundlicher Genehmigung der Friedrich-Murnau-Stiftung