Liebe und List

Aus dem Tagebuch

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker
Liebe und List

18. Juli:  Ich kann mich erinnern, wie wir es im Auto gemacht haben. Wir hörten dabei laute Musik aus dem Radio. Wir waren total ineinander verliebt und vergaßen die Welt um uns herum. Plötzlich, genau in dem Augenblick, als sie es am Schönsten fand, kamen die Verkehrsnachrichten. Automatisch und ungefragt schoben sie sich dazwischen, als gäbe es nichts Wichtigeres als Staus auf allen Straßen. Wir waren gerade dabei unserer Liebe ein Denkmal zu setzen, da knallte es durch die Lautsprecher:  „Die heutigen Staus ab einer Länge von zehn Kilometer. Auf der A1 vor einer Baustelle liegt ein rosa Schlüpfer auf der Straße.“ Vorsicht auf der A 46, da ruht das Stauende in einer Kurve.“ Das war schon stimulierend. Ich sehe seitdem das Kamener Kreuz mit anderen Augen. Entdecke ich einen Gegenstand auf der A 44 denke ich an Ruth. Vorgestern habe ich bei den Staunachrichten weinen müssen und beklagte meine verlorene Jugend. Wo bist du Ruth? Wer lauscht deinem Triumphgeheul? Ich stehe im Stau und denk an dich. Komm und erlös mich, denn ich habe gesündigt.
 
 
22. Juli: Mein Computer zeigt Gefühle. Ich habe meinen Computer immer unterschätzt. Ich sah ihn als Maschine, als ein notwendiges Übel, um das man nicht herumkommt wie um Mittelaltermärkte. Ich habe dazugelernt. Inzwischen bin ich überzeugt, daß er lernfähig ist. Er ist bereit die Welt anzunehmen, wie ich sie beschrieben und mit ihm verfaßt habe. Wir haben uns aneinander gewöhnt und angepaßt. Er läßt keine Mails meines Steuerberaters mehr durch. Er sortiert sie gleich als Spam oder Junk aus. Inhaltsangaben wie: Steurerklärung 2010 unter „Betreff“,  läßt er nicht mehr gelten. Er schirmt mich ab. Er kennt meine Sehnsucht nach Unschuld. Versucht er mich vor allem Bürokratischen und Nervigen zu beschützen? Mein Steuerberater muß sich nun unter „Betreff“ etwas einfallen lassen, will er zu mir vordringen. „Womit verdünnt man Wasser“ mailte er mir kürzlich, als er meine neuesten Belege anforderte. „Warum laufen Nasen, während Füße riechen“ sah ich als „Betreff“, als er noch Fragen zu meinen Tankquittungen hatte. Das hat geklappt. Meine Zahnärztin versuchte mir mal eine Mail unter dem Begriff: „Jahresuntersuchung“ zu schicken. Das ließ mein Computer nicht gelten. Nun meldet sie sich unter: „Was soll das Verfallsdatum auf saurer Sahne?“ So geht es durch. Eine Umfrage meiner Tageszeitung  kam nur zu mir mit einer Ankündigung: „Gilt die Pressefreiheit auch für Zitronen?“ Ich habe sie öffnen können. Mein Computer zeigt Gefühle. Ich auch. Ich stelle ihn nun manchmal bei gutem Wetter nach draußen. Gestern war er dabei, als ich mir im Kino einen 3-D-Film angeschaut habe. Heute werde ich ihn anlassen, wenn ich schlafe. Ich mag es, wenn er mir beim Schlafen zuschaut. Ich finde es so rücksichtsvoll, wenn er plötzlich sein Vollbild verdunkelt, damit ich besser träumen kann.



© Erwin Grosche - für die Musenblätter 2011
Redaktion: Frank Becker