Namen

von Hanns Dieter Hüsch

© André Poloczek - Archiv Musenblätter
Namen

Kennen Sie das auch? Daß Sie tagelang einen Namen suchen, der einem früher einfach so auf der Zunge lag. Der Name ist weg, aus, auf Wiedersehen, nein, auf Wiedereinfallen. Neulich habe ich drei Wochen lang den Namen eines amerikanischen Filmschauspielers gesucht, den alle Filmfreunde bestimmt schon mal gesehen haben. Früher jedenfalls. Und als ich den Namen schließlich hatte, da habe ich nicht mal gemerkt, daß ich den Namen. schon hatte, so weit weg war ich, beziehungsweise der Name. Klar, davon geht die Welt nicht unter, aber ich habe eine Komplettierungszwängigkeit. Haben. Sie das Wort schon mal gehört? Komplettierungszwängigkeit. So sagen die Psychologen. Wenn  einer seine Zahnbürste am gewohnten Platz nicht finden kann und sucht und sucht und sucht und das tagelang und dann darüber krank wird am Magen oder im Kopf, anstatt sich eine neue Zahnbürste zu kaufen, dann sagt man: »Der ist komplettierungszwängig.« Ich bin so einer: Ich habe es noch nicht im Kopf, nur manchmal am Magen. Und so war das auch mit dem amerikanischen Filmschauspieler, dessen Namen ich so lange gesucht habe, So ein Kleiner ist das, nicht schön, aber herb, ganz interessant, kein großer Star, spielt aber immer in dramatischen Filmen. Ist heute schon älter. Aber den habe ich schon vor dreißig Jahren gesehen, in diesen Western, wo die Viehzüchter immer Krach mit den Farmern hatten, weil irgendeiner sein Wasserloch nicht zur Verfügung stellen wollte. Und den spielte immer dieser amerikanische Schauspieler. Jetzt fällt mir der Name nicht ein. Sieht nicht schlecht aus der Mann, nicht schön, aber männlich, bißchen untersetzt. Herrgott noch mal! Ist es denn zu fassen! Ich habe den Namen schon mal gesucht, da habe ich ein halbes Jlahr gebraucht. Überall habe ich rumgefragt, überall. Keiner kannte den, so einen kleinen Stämmigen. Und dann sagt einer: »Robert Ryan!« »Nein«, sage ich, »so ähnlich.« »Robert Mitchum.« »Nein, kleiner, drahtiger, eigensinniger. »Van Johnson!« »So ähnlich, aber härter und kleiner.« Jetzt ist wieder alles weg! Und dann finde ich keine Ruhe, und dann fange ich wieder von vorne an. Ich sehe den Mann genau vor mir, er hat manchmal so karierte Hemden angehabt, und seine Haare gingen so ein ganz klein bißchen ins Rötliche über. Er hat auch mal in einem Öl-Film mitgespielt. Wo immer einer die Pumpe kaputt gemacht hat, und er als Ingenieur mußte sie dann reparieren, und das ganze Gesicht war immer total verschmiert mit Öl: van Heflin! Ich hab’s! Jetzt hab ich’s endlich: van Heflin! »Wie soll der heißen?« fragen dann die meisten. »Van Heflin!« »Van Heflin? Kenne ich nicht!« Aber ich sage dann ganz stolz: »Ich kenne den Mann schon über 35 Jahre und immer vergesse ich den Namen, van Heflin!«




© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Es kommt immer was dazwischen" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung