Biomorph!

Eine Ausstellung im Museum Rolandseck

von Rainer K. Wick

Arp, Menschliche Konkretion - Foto © Rainer K. Wick
Biomorph!

Hans Arp, die organische Form und die Folgen.
Eine Ausstellung im Museum Rolandseck

 
Der deutsch-französische Künstler Hans (Jean) Arp, geboren 1887 in Straßburg, gestorben 1966 in Basel, gilt bekanntlich als einer der Großmeister der organischen Form. Der Sammlung, kunstwissenschaftlichen Aufarbeitung, publizistischen Verbreitung und musealen Darbietung seines Werkes und des Werkes seiner Frau Sophie Taeuber-Arp widmet sich seit Jahren das Arp Museum in Remagen-Rolandseck, das seit 2007 oberhalb des alten, als Museum genutzten Bahnhofsgebäudes einen großzügigen Neubau des US-amerikanischen Architekten Richard Meier besitzt. Dieser Neubau bietet ausgezeichnete räumliche Voraussetzungen für wechselnde Ausstellungen, die sich mehr und mehr als Publikumsmagneten erweisen (siehe die Musenblätter-Beiträge über den Sockel in der Kunst vom 6.8.2010, über Daniel Spoerri vom 30.8.2010 und über Arno Schmidt als Fotograf vom 14.2.2011). Was den Hauspatron Hans Arp anbelangt, reicht es nun in unserem innovationssüchtigen Kulturbetrieb anscheinend nicht, ihn immer und immer wieder rein museal, und das heißt: gleichsam statisch, zu präsentieren. Vielmehr gilt es, ihn neu zu sehen und durch Strategien der Kontextualisierung zu aktualisieren. Wie gut das gelingen kann, zeigt die noch bis zum 8. Januar 2012 laufende Sonderausstellung „Biomorph!“.
 
Hans Arps „organische Kunst“

Eingebettet in das diesjährige Kunstprogramm des Arp Museums unter dem Motto „Natur &

Thomas Rentmeister, Ohne Titel, 1998
Foto © Rainer K. Wick
Landschaft“, wurde die Ausstellung mit Bezugnahme auf die Koblenzer Bundesgartenschau konzipiert, die für die Dauer des BUGA-Spektakels als Leihgabe auch Hans Arps große Bronzeplastik „Bewegtes Tanzgeschmeide“ aus Rolandseck erhielt (zur Kunst auf der BUGA siehe die „Musenblätter“ vom 20.7.2011). Der Zusammenhang mag vordergründig erscheinen, ist aber nachvollziehbar: So, wie es in einer Gartenschau um das organische Pflanzenwachstum geht, ist für Arps plastisches Werkschaffen über weite Strecken ein organoides, also an organischen Wachstums- und Wandlungsprozessen orientiertes Formverständnis charakteristisch. Damit wendet sich der Künstler gegen jenen Geometrismus, wie er im letzten Jahrhundert etwa von De Stijl, dem Bauhaus und den Anhängern der sog. Rationalen Kunst propagiert und praktiziert wurde, und setzt dessen Künstlichkeit die „Natürlichkeit“ seiner eigenen künstlerischen Arbeiten entgegen. Dabei ging es ihm nie um die bloße Nachahmung der äußerlich erfahrbaren Natur, sondern um ein naturanaloges Vorgehen: „Wir wollen bilden, wie die Pflanze ihre Frucht bildet, und nicht abbilden.“
Mit seinen „Konkretionen“ (s.o.: Menschliche Konkretion auf ovaler Schale 1935) der Dreißiger Jahre wurde Arp zu einem Protagonisten der sog. organischen Abstraktion. Typisch für diese Arbeiten sind die fließenden Konturen, die geschwungenen Silhouetten, die schwellenden Formen, die sich wölbenden Flächen und die weichen Übergänge. Wie Handschmeichler haben sie einen hohen haptischen Aufforderungscharakter, und wenn das Aufsichtspersonal nichts dagegen hätte, würde man sie am liebsten taktil berühren. Damals wurde auch der Begriff „biomorph“ kreiert, und in der Produktgestaltung entwickelte sich zeitgleich das „organische Design“, das bis in die Nierentischära der Fünfziger Jahre nachwirkte.


 Blick in die Ausstellung 'Biomorph!'; im Vordergrund Tony Cragg, Bolt, 2007 - Foto © Rainer K. Wick
 
„Biomorphes“ in der aktuellen Plastik
 
Während im Jahr 2003 in der Bremer Doppelausstellung „Die organische Form“ (Gerhard-Marcks-Haus und Wilhelm Wagenfeld Haus) die Wechselbeziehungen zwischen Kunst und Design in den Jahren von 1930 bis 1960 dargestellt wurden, fragt nun das Arp Museum danach, wie in der Gegenwartskunst mit Phänomenen des Biomorphen umgegangen wird. Etwas irreführend lautet der Untertitel des Ausstellung „Hans Arp im Dialog mit aktuellen Künstlerpositionen“, denn es ist natürlich nicht Arp, der hier den Dialog führt, sondern es sind die nachgeborenen Künstler und – als deren „Sprachrohre“ – die beiden Kuratorinnen der Ausstellung Astrid von Asten und Heike Strelow. Und ob sich die ausgestellten Künstler in ihren eigenen Arbeiten überhaupt bewußt auf den Altvater der

Wilhelm Mundt, trashstone 491, 2010 - Foto © Rainer K. Wick
organischen Abstraktion beziehen, mag dahingestellt bleiben (und wird auch im begleitenden Katalogbuch leider nicht geklärt).
Mit dem Satz „Skulpturen sind keine Nachahmungen, sondern eigenständige Energien“ positioniert sich Tony Cragg, der in Rolandseck mit zwei Arbeiten – „Ever after“ von 2006 und „Bolt“ von 2007 vertreten ist – immerhin in bemerkenswerter Nähe zu Hans Arps Diktum „Wir wollen nicht die Natur nachahmen, wir wollen nicht abbilden, wir wollen bilden.“
Insgesamt sind es vierunddreißig Werke aus den verschiedensten Schaffensphasen von Hans Arp, die ihre Dialogpartner in den Werken von neunzehn national und international bekannten Künstlern und Künstlerinnen finden, darunter neben Tony Cragg u.a. Angelika Arendt, Louise Bourgeois, Bonnie Collura, Julie Hayward, Maix Mayer, Wilhelm Mundt, Ernesto Neto, Thomas Rentmeister und Luis Vidal. Arbeiten wie „Ohne Titel“ (1998) von Thomas Rentmeister, „trashstone 491“ (2010) von Wilhelm Mundt oder „cineplastique I.e“ (2008) von Maix Mayer perfektionieren das Spiel mit glatten Oberflächen und halten damit den Betrachter eher auf Distanz, während die organoid geformten, anthropomorphisierenden „Humanóides“ (2001) von Ernesto Neto Benutzungsobjekte sind, die den Besucher einladen hineinzuschlüpfen, um mit ihnen eine temporäre Symbiose einzugehen. Unkontrolliertes Wachstum scheint für die vermeintlich formlos wuchernden Reliefs und Skulpturen von Angelika Arendt verantwortlich zu sein, während im Unterschied zu diesen informellen Strukturen die komplett weiß

Maix Mayer, cineplastique I.e, 2008
Foto © Rainer K. Wick
gehaltene Arbeit „Dangerous Garten I“ (2006) von Luis Vidal ganz dem Kanon gegenständlichen Gestaltens verpflichtet ist. Gefährlich ist dieser Garten deshalb, weil sich der blumenpflückende, vorpubertäre Knabe von Pflanzen umstellt sieht, aus denen erigierte Penisse sprießen – Hinweis auf seine massiv bedrohte Unschuld. Ohne Frage, angesichts der neueren Mißbrauchsskandale dürfte diese Arbeit eine geradezu bedrückende Aktualität besitzen.
Die spannungsvollen Gegenüberstellungen der biomorphen Skulpturen von Hans Arp mit den unterschiedlichsten Arbeiten zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler erlauben einen erfrischend neuen Blick sowohl auf einen Klassiker der Moderne als auch auf Tendenzen der Gegenwartsplastik. Daß sich in dem ansprechend gestalteten Katalog mit Ausnahme von Arp keine biografischen Hinweise auf die präsentierten Künstler finden, ist allerdings ebenso zu bedauern wie das Fehlen einer über das Deskriptive hinausweisenden theoretisch fundierten Auseinandersetzung mit der Frage, was in der zeitgenössischen Kunst „organisch“ oder „biomorph“ bedeutet.


Biomorph! - Hans Arp im Dialog mit aktuellen Künstlerpositionen
Arp Museum Bahnhof Rolandseck
Hans-Arp-Allee 1 - 53424 Remagen
bis 22. Januar 2012
Katalogbuch im Snoeck Verlag, Köln; zweisprachig deutsch und englisch;  mit Texten von Oliver Kornhoff, Astrid von Asten und Heike Strelow sowie Skizzen, Entwürfen, Fotos und Statements der beteiligten Künstler; ISBN 978-3-940953-83-4; 29,80 €