Ein Ding im Zustand A

Erzählung

von Eugen Egner

© Eugen Egner

Ein Ding im Zustand A

Trabkin versteht lediglich die Worte „Mann“ und „Hund“. Die achtzehn heuristisch vorgehenden Schatzgräber suchen nach Dingen im Zustand A. „Manchmal findet man Dinge im zustand A, manchmal im Zustand B“, sagt Nr. 9. „Es ist wahrscheinlich, daß wir, wenn wir einmal ein Ding im Zustand A finden, beim nächsten mal eins im Zustand B antreffen“, sagt Nr. 17. Für alle achtzehn Schatzgräber ist die Frage, was zwischen den Zuständen A un B liegt, oder wie die Dinge vom einen in den anderen Zustand gelangen, gänzlich sinnlos. Nur Dinge im Zustand A sind wünschenswert, Dinge im Zustand B oder lange Dinge mit Klumpen zum Beispiel sind es nicht.

Hulda Giff kann mit Besteck essen, ihre Nahrung kauen, sich anziehen, die Zähne putzen und die Schuhe zubinden. Sie ist Trabkins minderjährige Pflegetochter. „Genau unter Trabkins Bauernhof befindet sich ein Ding im Zustand A“, berichtet Nr.4 aufgeregt. „Das Ding müssen wir freilegen. Aber wir können es nicht tun, ohne Trabkin um Erlaubnis zu fragen“, erklärt Nr. 13. Nr. 1 gibt zu bedenken: „Er wird dagegen sein und uns umbringen, wenn wir ihn nicht günstig stimmen können.“ Es wird beschlossen, Trabkin einige Geschenke aus der Truhe anzubieten. Allerdings muß ihm klargemacht werden, daß es sich nicht um bloße Geschenke handelt, sondern daß man dafür das Ding im Zustand A unter seinem Bauernhof haben möchte. „Die Pflegetochter würde uns vielleicht helfen“, schlägt Nr. 5 vor. Am späten Nachmittag wagen sich die Schatzgräber bis in die unmittelbare Nähe von Trabkins Bauernhof vor. „Wir machen eine experimentelle Beobachtung.“ Es gibt zwei Gebäude, das Wohnhaus und den Stall. Fröhlich lachend springt Hulda Giff auf die achtzehn Besucher zu. Immer wieder hebt sie ihr Hemdchen in die Höhe und veranschaulicht auf einzigartige Weise die Plastizität ihrer Anatomie. Sie kann Fragen beantworten, im Erkennen von Gestaltmustern ist sie gut. Die Truhe wird geöffnet. „Hat Ihr Vater so etwas schon einmal gesehen?“ wird sie gefragt. „Nein“, antwortet sie, „das kann ich mir nicht vorstellen.“ „Das glauben wir auch“, sagen die Schatzgräber.

Ein Verhandlungsgespräch im Stall wird beantragt. Hulda Giff hüpft davon, um Trabkin zu berichten. Der Stall sieht furchtbar aus. Hühnermistberge ragen bis zur halben Höhe der Wände empor, von zwei alten Autos sind gerade noch die die Dächer zu sehen. Auf einem der Berge steht ein angeketteter Foxterrier und bellt sich fast in Stücke. Sofort nimmt Trabkin den Schatzgräbern die Truhe weg. Zur Feier des Anlasses schlachtet er ein Schaf. Alle Tiere sind für ihn „Hund“, der Ziegenbock z.B. heißt bei ihm „Mann Hund“. Später sind die achtzehn Schatzgräber dann ausnahmslos überzeugt, einen Hund zu verspeisen. Sie vergleichen die Knochen des Bratens mit Abbildungen in Anatomiebüchern. So sehen Schafsknochen nicht aus. Die achtzehn Schatzgräber sind benommen von dem Rausch, den nur ihr Beruf zu bieten hat. „Vielleicht rührt es auch vom Genuß des Hundefleisches her?“

Wie sollen sie Trabkin die Sache mit dem Ding im Zustand A unter seinem Bauernhof begreifbar machen? Trabkin sitzt auf dem Boden und hält seinen rechten Fuß als Sonnenschirm über sich.


© Eugen Egner