Wie David starb

Erzählt

von Karl Otto Mühl

Karl Otto Mühl - Foto © Anita Duerdoth

Wie David starb


Dies waren die letzten Tage von David, der mit einem Stammhirntumor im Sterben lag. Chava erzählt, er habe sich nicht operieren lassen, weil das Ergebnis sehr ungewiß gewesen wäre. Er hatte ihr bis zuletzt bei der Pflege des Landschaftsgartens im Kibbuz geholfen. So lag er in seinem Zimmer im Kibbuz, sah durch das offene Fenster auf die schattigen Bäume davor und streichelte seinen schwarzen Hund, der bis zum Ende bei ihm bleiben durfte.

David war Journalist. Bis in die Nacht hatte seine Schreibmaschine geklappert, seit 20 Jahren, die er im Kibbuz lebte.

Mehrmals täglich kam Chava aus ihrem Haus herüber und setzte sich zu ihm und sprach mit ihm, redete auch weiter zu ihm, als er schon nicht mehr  sprechen konnte.

Er lag mit einem aufmerksamen Gesichtsausdruck im Bett, schlief, wachte auf, sprach mit Chava. Auch nachts wachte er manchmal auf und streichelte den Hund. Vielleicht vermißte er das Klappern seiner Schreibmaschine, aber er sah auf den Sternenhimmel und erlebte seine biblische Nacht.

Schon früh am Morgen sah Chava nach ihm, aber der Kibbuz hatte auch einen jungen Filipino delegiert, der die gesamte Pflege des Kranken übernahm. Auch er saß oft schweigend am Bett. Er stand leise auf, wenn Studentinnen aus dem Haus hereinkamen. Sie setzten sich, fragten, ob David Wünsche hätte. Dann begannen sie leise zu singen, bis er einschlief. Sie kamen fast täglich.

Aus der Klinik kam der Psychiater und gab ihm Medikamente gegen Schmerzen, so daß er fast schmerzfrei war.

Der schönste Augenblick war wohl für ihn, wenn etwa einmal in der Woche die Harfenspielerin kam, eine junge, stille Frau. Sie saß auf einem Hocker am Fußende des Bettes und spielte, wobei sie David unverwandt anblickte. Manchmal sang sie auch. Wie sie später Chava erzählte, waren es irische Volkslieder. Chava hatte es schon bei Zuhören vermutet, einfach darum, weil sie beim Zuhören bereits die Vorstellung einer irischen Landschaft hatte.

Während der letzten beiden Tage schien David nicht mehr bei Bewußtsein zu sein. Nach der Beerdigung räumte Chava seine Wohnung aus. Den Hund nahm sie zu sich.


© Karl Otto Mühl - Erstveröffemtlichung in den Musenblättern 2007