Alfred Sisley kommt! Mit der lebensgroßen Schwarz-Weiß-Fotografie des Künstlers, der sein Gemälde des „Canal du Loing“ in den Händen hält, wirbt das Von Der Heydt-Museum schon seit dem Frühjahr. Es zeigt den Maler als Mann mittleren Alters, in der Zeit, als die Impressionisten in der Pariser Gesellschaft als Revolutionäre für Furore sorgten. Im Jahr 1874 konnte man seine Werke zusammen mit Bildern der Freunde Renoir, Monet und Pissarro in Paris im ehemaligen Atelier des Fotografen Nadar sehen. Es war die Ausstellung, die als erste Impressionisten-Ausstellung in die Kunstgeschichte eingegangen ist; Sisley galt fortan als einer der Protagonisten der Bewegung.
Über Sisleys Biografie ist wenig bekannt. 1839 als Sohn eines erfolgreichen britischen Kaufmanns in Paris geboren, erhielt er eine gute Schulbildung. Mit 18 Jahren schickte ihn der Vater nach London, wo er den Beruf des Kaufmanns kennen lernen sollte. Sisley interessierte sich allerdings mehr für die Malerei, was er sich dank der materiellen Unterstützung durch seine Eltern auch leisten konnte. Der deutsch-französische Krieg 1870/71 brachte eine entscheidende Wendung. Nicht nur, daß Sisley den Verlust seines bisherigen Oeuvres durch die Zerstörung seines Ateliers in Bougival in der Nähe von Paris hinnehmen mußte. Hinzu kam, daß auch der Vater erkrankt und das elterliche Geschäft ruiniert war. Zuvor wohlhabend, war Alfred Sisley nun mittellos und mußte den Lebensunterhalt der Familie mit seiner Malerei bestreiten. Sisley war Vater zweier Kinder, die er mit der Floristin Eugénie Lescouezec hatte. Erst wenige Jahre vor seinem Tod haben sie auf einer Englandreise geheiratet. Als Engländer übrigens: Denn die französische Staatsbürgerschaft zu erhalten ist ihm, obwohl er abgesehen von wenigen Reisen sein ganzes Leben in Frankreich verbracht hat, nicht gelungen.
Die Familie lebte in zunehmend großer Armut, wechselte in der Provinz rund um Paris häufig den Wohnort. Und trotz aller Not gab Alfred Sisley die Malerei nie auf. Er hoffte auf Anerkennung, hoffte auf eine Teilnahme an den offiziellen Pariser Ausstellungen, Salon genannt, was ihm letztendlich zu besseren Bildverkäufen verholfen hätte. Die revolutionären Ausstellungen mit seinen Impressionisten-Freunden hatten ihn zwar bekannt gemacht, aber sie hatten ihm, anders als für Monet und Renoir, kein Geld gebracht. Sisley galt als schweigsam, verschlossen und sensibel und so zog er sich im Laufe der Jahre von dem Kunstbetrieb um die Impressionisten zurück, wenn er auch den Kontakt zu Monet, Renoir und Pissarro nicht ganz verlor.
Das Bild des „Canal du Loing“, das die Fotofigur hält, malte Sisley 1884, zehn Jahre nach der ersten Impressionisten-Ausstellung. Die letzten zwanzig Jahre seines Lebens (seit 1879) verbrachte er in der Gegend des Flusses Loing, zuletzt in dem Städtchen Moret, das er so beschrieb: „Der Ort ist ganz schön, ein bißchen mutet er an wie die Landschaften auf einem Tabakdosendeckel. … Moret liegt zwei Stunden von Paris entfernt, und hat viele Häuser, die man mieten kann. … Einmal pro Woche fahre ich dorthin, die Kirche ist schön und es gibt sehr pittoreske Motive.“ Die Kirche hat er mehrfach gemalt, aus verschiedenen Blickwinkeln: ein mittelalterlich monumentaler und zugleich filigran anmutender Steinkoloß.
Bekannt ist Sisley indes als der Landschaftsmaler unter den Impressionisten. Seine Kompositionen sind klar angelegt, fast klassisch, wirken still und sehr harmonisch. Straßen, Flüsse, Brücken gliedern den Bildraum; Figuren - oder wie auf diesem Bild der Kahn -, so genannte Repoussoirs, führen den Betrachter in das Bild. Der Maler scheint diese Version des Canal du Loing von einer Position in der Mitte des Kanals aus gemalt zu haben. Wasser und Himmel, getrennt durch einen schmalen Landstreifen, beherrschen die Ansicht. Häuser und kleinere Bauten sind gleichmäßig über das Ufer verteilt, lenken die Konzentration wieder auf den Kahn in der Mitte, dessen schmaler, als Vertikale auffallender Mast eine Gegenbewegung zur Horizontale der Bildanlage bildet. Das Gemälde zeigt deutlich, was für Sisley das wichtigste war: der Himmel und das Wasser: „Ich fange ein Bild immer mit dem Himmel an […]“, beschrieb er einmal seine Vorgehensweise. Wolkenformationen, Wasserbewegungen und Lichtreflektionen sind sein eigentliches Thema. Die oft dick und pastos aufgetragenen Farben Blau und Grün oder Grau und Rosa sieht man in allen Tonabstufungen, getupft oder gestrichelt. Mit dem Farbmaterial fing Sisley das Flüchtige, Subtanzlose ein und ist deshalb im wahrsten Sinne des Wortes ein „Impressionist“. Er malte seine Motive bei Regen und bei Sonne, im Frühjahr, Herbst und Winter, am Morgen, am Mittag und im Abendlicht - unspektakulär zwar, aber dafür umso eindringlicher. Ein Gemälde, so Sisleys Theorie, war vollendet, wenn es dem Maler gelungen war, „dem Werk Leben einzuhauchen“, und lebendig war es, wenn sich seine Ergriffenheit vor der Landschaft dem Betrachter mitteilt.
Der Protagonist des Impressionismus starb in ärmlichsten Verhältnissen am 29. Januar 1899 an Kehlkopfkrebs. Schon bald nach seinem Tod stieg der Wert seiner Bilder sprunghaft. Hatte er selbst immer nur ein paar Hundert Francs für seine Landschaften erhalten, so erzielte eines der Bilder von der „Überschwemmung in Port-Marly“ im Jahr 1900 bereits 43.000 Francs. 884 Gemälde zählt Sisleys Werkverzeichnis, 80 Gemälde sind in der Wuppertaler Retrospektive zu sehen. In der Beurteilung seiner Zeitgenossen war Sisley der harmonische, vorsichtige, poetische Impressionist, zugleich galt er als „kompromißloses Talent“; als schüchtern und sanft beschrieb ihn Vincent Van Gogh. Die Ausstellung in Wuppertal, die morgen ihre Pforten öffnet, wird seine Stellung im Kreis der Impressionisten klären.
Alle Informationen über die Wuppertaler Sisley-Ausstellung unter: www.sisley-ausstellung.de/
Redaktion: Frank Becker |