Zur Krise Paraphrasen dreschen

Wuppertal zeigt Jelineks „Die Kontrakte des Kaufmanns“

von Martin Hagemeyer
Zur Krise Paraphrasen dreschen
 
Wuppertals Schauspiel zeigt Jelineks
„Die Kontrakte des Kaufmanns“
 
 
„Die Kontrakte des Kaufmanns“, Elfriede Jelineks Theaterstück zur Finanzkrise, dauerte zwei Stunden, als Wuppertals Schauspielintendant Christian von Treskow und sein Ensemble es am vergangenen Samstag zur Premiere brachten. Vor zwei Jahren reichte das Werk bei der Uraufführung am Schauspiel Köln noch locker für die doppelte Länge: Gut vier Stunden füllte damals der Text, die Dramatikerin hatte ihn kurz zuvor noch einmal verlängert.


Marco Wohlwend, Julia Wolff (vorn) - Foto © Uwe Stratmann

Daß die Wuppertaler Inszenierung im Gegensatz darauf verzichtet, das Stück in die Länge zu ziehen, ist - keine Frage - eine gute Entscheidung. Aber es ist eben auch vielsagend, daß „Die Kontrakte des Kaufmanns“ sich offenbar ohne weiteres nach Belieben strecken oder stauchen lassen. Denn (jeder Bartender kann das bestätigen): Strecken bringt nicht mehr Gehalt. – Typisch für Jelinek gibt es auch in Wuppertal einen kraftvollen Strom von Reflexionen, Einsichten und Kalauern – diesmal: zur Krise. Bis zu zehn Schauspieler (fast das gesamte Ensemble) stellen zu Beginn des Stücks naiv-traurige Kleinanleger dar. Danach und hauptsächlich aber geben sie symbolische Banker-Figuren, die den Zusammenbruch verursacht und überstanden haben und lassen sie zu Wort kommen: respekteinflößend über weite Strecken in gekonnt chorischem Sprechen, im Business-Dress und, vor allem: im Vollgefühl ihrer Sicherheit. Sie philosophieren über das Nichts, mit dem sie Geschäfte gemacht haben, das zwar nichts ist, „aber nicht ohne“, und außerdem nicht einfach irgendein Nichts ist, sondern immerhin „ein todsicheres“.
 
In Wuppertal sind die Figuren zwar keine konkreten Personen, aber doch unterscheidbare Typen: Julia Wolff zum Beispiel spricht zum Volke mit offener Verachtung und Kälte in Gang und Miene wie auch Tonfall. Anne-Catherine Studers Vertreterin des Kapitals hingegen betritt die fast leere Bühne (eine abstrahierte Bankhalle, Bühnenbild: Jürgen Lier) schlendernden Schritts und scheint sich auf die „good cop“-Taktik verlegt zu haben – vermittelnd also und daher so hinterhältig: „Wir haben keinem etwas versprochen. Entschuldigung! Wir haben uns versprochen.“ Als Sieger fühlen sie sich alle.


Wir können Ihnen Ihr Geld nicht wiedergeben." v.l.: Marco Wohlwend, Gregor Henze, Julia Wolff - Foto © Uwe Stratmann 
 
Aber die Inszenierung zeigt auch: Die Sicherheit der Märkte, von der heute letztlich Wohl und Wehe der Welt abhängt, ist fragil. Trickreich und überraschend baut Regisseur von Treskow immer wieder Hinweise darauf ein, daß das Finanzkapital längst nicht so unerschütterlich ist, wie es Einfluß hat: Chöre gibt es derzeit ja wieder häufiger im Theater; einer wie dieser gerät aber auch schon einmal ins kollektive Stottern oder brabbelt Unverständliches, bis „Zer-Ti-Fi-Ka-Te“ herauszuhören ist. Noch einprägsamer (und wohl ebenfalls ein Beispiel für das durch von Treskow zuvor angekündigte „sinnliche, nicht sinngemäße Verstehen“): Die Zuckungen, die alle Akteure im Verlauf des Abends in unverhofften Momenten durchfahren – für Sekunden verrenken die eloquenten Weltenlenker sich komisch und unheimlich, um dann sofort wieder weiterzureden, als wäre nichts geschehen. Geschäftigkeit bis zum Zusammenbruch – buchstäblich. Fast möchte man mit Madonna leicht abgewandelt sagen: Sie wissen nicht, was sie tun, aber sie tun es unbeirrbar.
 
Handlung sollte man bei alldem nicht erwarten, auch keine Entwicklung; so will es das postdramatische Theater. In der Schlußphase des Abends ändert sich zwar doch etwas: Himmel und Hölle werden bemüht, Nonnen treten auf und der Teufel höchstpersönlich. Aber der Text bleibt vom Duktus wie zuvor – bloß daß er jetzt vom Band kommt. Außerdem bremst dieser Teil der Vorstellung beträchtlich die Dynamik des bis dahin Erlebten, ohne im Ausgleich sonderlich weiterzuhelfen.


Unter dem Rettungsschirm (Ensemble) - Foto © Uwe Stratmann
 
So ist „Die Kontrakte des Kaufmanns“ ein Stück von hoher Aktualität, prägnant und unterhaltsam, und in Wuppertal mit direkt wirksamen Mitteln schön umgesetzt. Der Gehalt aber bleibt überschaubar, mag er nun eine, zwei oder acht Stunden füllen, und ließe sich mit wenigen Worten ziemlich erschöpfend erfassen – Vorschlag: „kreative Paraphrasensammlung zum Satz Finanzwirtschaft ist zynisch“. Doch im Jahr 3 nach dem Aus der Lehman-Bank zeigt wohl schon der Blick auf die politischen Folgerungen aus der Krise, die zuweilen ja nicht anders erscheinen mögen als hasenfüßig: Manche Wahrheiten kann man gar nicht oft genug wiederholen.
 
 Redaktion: Frank Becker