Unsere Demokratie
braucht Würde „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen...“
(Helmut Schmidt, 1980)
Während seiner politischen Laufbahn war Helmut Schmidt (*1918) nicht unangefochten. Als Hamburger Innensenator hat er bei der großen Sturmflut 1962 erstmals seine Fähigkeiten als Organisator, auch vor bei an Instanzen bewiesen, als Verteidigungsminister hat er Reformen der Bundeswehr durchgesetzt und Kanzler der Bundesrepublik Deutschland hat er das Land mit harter Linie gegen Terroristen durch den sogenannten „Deutschen Herbst“ geführt und u.a. mit der Befreiung der 87 Geiseln aus der entführten Lufthansa-Maschine Landshut in Mogadischu ein diplomatisch-taktisches Meisterstück gezeigt. Helmut Schmidt hat aber auch den Mut gehabt, der damals jungen 68er-Generation, die mittlerweile längst erfolgreich durch die Institutionen gewandert ist, den Spiegel vorzuhalten, um sie darauf hinzuweisen, daß sie den sicheren Boden für ihren Protest, die demokratische Möglichkeit zum Aufbegehren und die wirtschaftliche Sicherheit dafür jenen verdankten, gegen die sie aufbegehrten. Mit seiner durchaus berechtigten Sorge um das militärische Gleichgewicht zwischen den Blöcken und dem deshalb von ihm initiierten NATO-Doppelbeschluß scheiterte er jedoch unter dem Druck der linken Öffentlichkeit.
„Die multikulturelle Gesellschaft ist eine Illusion von Intellektuellen.“ (2004)
Der überzeugte Sozialdemokrat Schmidt hat in all seinen Ämtern, kantig, streitbar und polemisch, Vorzügliches geleistet, doch in seiner dritten Amtsperiode als Kanzler einer sozialliberalen Koalition wurde er 1982 nach einem einzigartigen Ränkespiel der heute politisch nahezu bedeutungslos gewordenen FDP unter ihrem Bundesvorsitzenden und zu dieser Zeit Außenminister und Vizekanzler Hans Dietrich Genscher durch ein konstruktives Mißtrauen abgewählt. Genscher trug sein Amt in eine neue Koalition mit der CDU/CSU hinüber, Schmidt trat ab. Doch bis heute ist er allen Deutschen, sogar den Nachgeborenen als Galionsfigur einer starken deutschen Außen- wie Innenpolitik ein Begriff und wohl kein anderer deutscher Politiker genießt annähernd ein derart fortdauerndes hohes Ansehen. Aus dieser Position heraus kann er sich auch gegen den Kuschel-Strich gebürstete Meinungen leisten wie: „Die Vorstellung, dass eine moderne Gesellschaft in der Lage sein müsste, sich als multikulturelle Gesellschaft zu etablieren, mit möglichst vielen kulturellen Gruppen, halte ich für abwegig. Man kann aus Deutschland mit immerhin einer tausendjährigen Geschichte seit Otto I. nicht nachträglich einen Schmelztiegel machen.“ (1992)
„Wenn wir auf Jahrzehnte so weiterfahren wie bisher, dann muß ich für unser Vaterland schwarz sehen.“ (2006)
Der ehemalige Wehrmachts-Offizier ist durch seine stets konsequente Haltung gegen rechte wie linke Dummheit, seinen messerscharfen Verstand und die offene Sprache, die er führt, zu einer von allen Kreisen anerkannten moralischen Instanz geworden. Als Mitherausgeber der Wochenzeitung „Die Zeit“ und als in Gesprächsrunden stets gefragter politischer und gesellschaftlicher Analytiker hat er auch und besonders jetzt im hohen Alter von 92 Jahren Einfluß auf das Denken der Deutschen. Dem früheren US-Außenminister Henry Kissinger wird eine Äußerung zugeschrieben, nach der er hoffe, vor Schmidt zu sterben, weil er nicht in einer Welt ohne Helmut Schmidt leben wolle. Das hat sich für Henry Kissinger erfüllt. Ich aber hoffe, Helmut Schmidt lange zu überleben, um von seiner Philosophie der Gradlinigkeit und Offenheit zehren zu können.
„Wollen wir denn auch noch Weltmeister im Jammern werden?“ (2003)
Die Dokumentationen über sein Leben, ob in Buchform, Filmportrait oder Zeitungsartikeln sind kaum noch zu überschauen. Die Ehrungen, die er erfahren hat, sind Legion. Der Journalist Jürgen Roth, dem wir schon höchst unterhaltsame Hörbuch-Biographien über Herbert Wehner und Edmund Stoiber verdanken, ist den schon dort bewährten Weg gegangen und hat aus Reden, Interviews und Äußerungen Schmidts und seiner politischen Wegbegleiter und Gegner ein greifbares Bild zusammengestellt. Roth läßt durch geschickt geschnittene und kommentierte O-Töne Helmut Schmidts dessen Auftritte im Bundestag in den 50er und 60er Jahren aufleben, seine scharfen Verbalattacken gegen politische Gegner wie Alfred Dregger, Lothar Haase, Richard „Kopf ab“ Jaeger (dem der geflügelte Titel „Schmidt-Schnauze“ zugeschrieben wird) und Franz Josef Strauß und seine Abrechnung mit Hans-Dietrich Genscher.
Entstanden ist ein wieder von Gert Heidenreich gesprochenes beeindruckendes Hör-Bild über einen klugen Mann, der es sich als Ehre anrechnen kann ein streitbarer Demokrat zu sein.Ein 32 Seiten Starkes Beiheft vertieft die Hör-Eindrücke mit Text und Bildern.
„Wenn man meint, man könnte alles dem Markt überlassen, ist ein Trottel.“
Helmut Schmidt, geboren 1918 in Hamburg, 1961-1965 Innensenator in Hamburg, 1966-1969 Fraktionsvorsitzender der SPD im Deutschen Bundestag, 1969-1972 Verteidigungsminister, 1972 Bundeswirtschafts- und Finanzminister, 1972-1974 Bundesfinanzminister, war von 1974 bis 1982 Bundeskanzler. Seit seinem Ausscheiden aus dem Amt ist er Mitherausgeber der Wochenzeitung 'Die Zeit'.
Jürgen Roth, geboren 1968, lebt als Schriftsteller und Journalist in Frankfurt am Main.
Gert Heidenreich, geboren 1944 in Eberswalde, lebt in der Nähe von München. Sein Werk umfaßt Romane, Erzählungen, Gedichte, Essays, Theaterstücke und Arbeiten für Funk und Fernsehen. Er wurde u. a. mit dem Adolf-Grimme-Preis (1986), dem Literaturpreis der Stadt München (1990), dem Phantastik-Preis (1995) sowie dem Marieluise-Fleisser-Preis (1998) ausgezeichnet. 1991-1995 Präsident des deutschen P.E.N.-Clubs (West).
Jürgen Roth – „Helmut Schmidt – Eine Revue in Originaltönen“
© 2011 Verlag Antje Kunstmann - ISBN-13: 9783888977428
Sprecher: Gert Heidenreich
Gesamtspielzeit: 1:10:08
Weitere Informationen unter: www.kunstmann.de
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