The Last Boy Scout

Falstaff in kurzen Hosen

von Frank Becker

Kiril Manolov - Foto © Uwe Stratmann
Verdi unter dem
Union Jack
 
Falstaff feiert Premiere –
und kaum einer tut mit
 
Remscheid/Wuppertal. Man muß William Shakespeare seine mitunter völlig hirnverbrannten Komödien nachsehen. „Die lustigen Weiber von Windsor“ ist allerdings eine, in der man neben allem üblichen Unfug gelegentlich beinahe Molieresche Qualitäten erlebt. Sie nun aber zu einer italienischen Oper umzuschreiben kommt einem Hazard gefährlich nahe. Arrigo Boito und Giuseppe Verdi haben es 1893 (44 Jahre nach Otto Nicolai) gewagt. Ergebnis: „Falstaff“, die einzige Opera buffa Verdis, die Gnade vor der Kritik fand – und sein letztes Werk.
 
Schönes Theater, leeres Haus

Wuppertals Opernintendant Johannes Weigand hat sich dieses Sonderfalls angenommen und ihn in Szene gesetzt. Premiere im Rahmen der Zusammenarbeit der Theater Wuppertal und Remscheid am vergangenen Mittwoch im Teo Otto Theater. Auf der Bühne: ein beachtliches Ensemble plus klangvollem Chor (Jens Bingert), im Graben: die hervorragend aufgestellten Bergischen Symphoniker unter Peter Kuhn, im Saal: knapp über 100 Zuschauer, darunter als kulturpolitische Spitzen Remscheids Kulturdezernent Dr. Christian Henkelmann und Enno Schaarwächter, Geschäftsführer der Wuppertaler Bühnen, der für das schöne Haus deutliche Worte fand: „Ein wunderschönes Theater. Eine Perle.“ Nur eben gemessen am großen Anlaß bedrückend leer. Man kann Herrn Schaarwächters Seufzer verstehen, wenn man weiß, was die Renovierung des dortigen Opernhauses gekostet hat und spürt, daß in Wuppertal die goldenen Zeiten des Sprechtheaters vorbei zu sein scheinen. In Sichtweite des einst zu den besten Häusern der Republik zählenden denkmalgeschützten Theaters scharren Abrißunternehmen bereits mit den Füßen, was die Politik natürlich nicht zugeben möchte.


Falstaff +Spießgesellen: v.l. Ralf Rachbauer, Kiril Manolov, Thomas Schobert - Foto © Uwe Stratmann

Aber zurück zu Verdi/Boito/Shakespeare. Der englische Edelmann Sir John Falstaff (Kiril Manolov), ein ebenso versoffener wie verfetteter Gourmand plant in grenzenloser Selbstüberschätzung einen Coup, der seinen leeren Beutel wieder füllen soll. Zwei Damen der Gesellschaft will er unter glühenden Liebesschwüren ausnehmen, Alice Ford (Banu Böke mit gehaltvollem Sopran) und Meg Page (Joslyn Rechter), dabei den schrecklich  eifersüchtigen Mr. Ford (Thomas Laske) zum Hahnrei machen. Seine Komplizen sollen die Diener Bardolfo (Ralf Rachbauer) und Pistola (Thomas Schobert) sein, die sich aus Gewinnsucht aber lieber auf die Gegenseite schlagen. Man sieht: ein Haufen übler Vertreter des männlichen Geschlechts. Arrigo Boito lässt wirklich kein gutes Haar an der Spezies Mann, sieht man einmal von Fenton (Boris Leisenheimer) ab, der am Ende die süße Nannetta heimführen kann, wodurch wiederum Dr. Cajus (Stephan Boving mit akzentuiertem Tenor) das Nachsehen hat. Die Damen verbünden sich klug und lassen die Kerls zu den Geprellten werden. Das Shakespeare-übliche Durcheinander eben.
 
Falstaff in kurzen Hosen

Johannes Weigand hat die Handlung ins Jahr 1911 und in einen englischen Badeort mit Boot, Strandcafé und Badehäuschen verlegt, könnte Brighton oder Blackpool sein. Das erschließt sich ebenso wenig wie Falstaffs Aufzug im Boy-Scout-Kostüm mit kurzen Hosen, als er zum heißen Rendezvous aufbricht. Wozu bitte das, außer um seine Lächerlichkeit mit dem Holzhammer zu unterstreichen? Der mitternächtliche Mummenschanz, mit dem Falstaff zum Eingeständnis seiner Betrügereien gebracht werden soll, hat eine Menge vom Auftrieb des Shakespeareschen Sommernachtstraums. Aber entweder - oder: der ansehnlichen Nannetta im Nixen-Kostüm ein hautfarbenes Trikot anzuziehen und täuschend echt wirkende Brüste auf den echten Busen zu malen ist irgendwie halbherzig. Dann lieber gar nicht. Dem wortreichen italienischen Libretto kann man flinken Auges mit Hilfe von Übertiteln folgen, wenn die denn funktionieren. Im 2. und 3. Akt – apropos, wieso braucht man nach jedem Akt eine Pause? – fiel die Technik aus und man lauschte

Dorothea Brandt, Boris Leisenheimer - Foto © Uwe Stratmann
zwangsläufig einfach nur den schönen Stimmen und der Musik - und hatte das Gefühl, auch ein klein wenig Wagnersche Anklänge zu hören.
 
Ensemble und Orchester in Bestform

Musikalisch hatten beide einiges zu bieten, Ensemble wie Orchester. Allen voran gewaltig in Statur und Klangfülle der Bariton Kiril Manolov, Idealbesetzung für den Falstaff und seine auf ungezählten Bühnen im In- und Ausland vielfach erprobte Paraderolle, in der er auch komödiantische Qualitäten zeigen kann. Thomas Laske steht ihm schlank in Figur und kraftvoll an Stimme als sein Gegenspieler Ford nicht nach. Dorothea Brandt glänzt als Nannetta, ihr geschmeidiger Sopran und ihr natürlicher Charme passen in die vom Wechsel der Temperamente und Tempi lebende Oper, die zwar keine großen Arien hat, aber durchgängig schöne Melodien bietet. Die wiederum wurden von den brillanten Bergischen Symphonikern, die den Vergleich mit dem Wuppertaler Opernorchester nicht zu scheuen brauchen, mit dem richtigen Gefühl für Stimmungen und Charaktere ganz ausgezeichnet umgesetzt.
 
Eine unterhaltsame Inszenierung mit einigen skurrilen Einfällen, die zwar keine Sensationen bot, aber vom überschaubaren Publikum mit freundlichem (Manolov und Laske mit stürmischem) Applaus bedacht wurde. Und Weigand trug nicht seine gelben Schuhe. Eine Botschaft?
 
Weitere Termine: 10. November 2011 im Konzerthaus Solingen, 29. November, 4., 8., 17. Dezember im Opernhaus Wuppertal.
 
Informationen unter: www.wuppertaler-buehnen.de