Über eine Stimme

Eine Suada

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker
Über eine Stimme
 
Wissen Sie, Ihr Gesang ist nicht zum Aushalten. Da möchte man nicht mitsummen. Haben Sie meinen Fuß wippen sehn? Ich bin da ganz direkt. Irgendwas stimmt da nicht. Wissen Sie, so was wie Sie kann ich jeden Tag im Radio hören. Ihre Stimme hat nichts Eigenes. Mainstream. Bahnhofsdurchsagenquasselklang. Sie klingen wie ein erkalteter Roberto Blanco. Wie ein Seufzer von Bata Illic. Wie Christian Anders in der Waschanlage. Wie Dunja Raiter auf dem Pferd. Sie merken an den Vergleichen die Ausrichtung mei-ner musikalischen Vorlieben? Sie sollten in der Badewanne singen. Vor dem Lagerfeuer. Auf der Kanzel. Gott verzeiht, das Publikum nie. Singen Sie vor Kindern. Singen Sie als Abschreckung, der pädagogische Bereich kann sehr geduldig sein. Singen Sie Protestsongs. Ihre Stimme ließe sich mit einer Botschaft ertragen. Irgendwas mit: „Wir sind doch alle Menschen“, oder so. Natürlich sind wir alle Menschen oder so, aber müssen wir deswegen auch noch singen? Wenn Sie wenigstens so aussehen würden, dass man Ihnen zuhören möchte. Ist Ihr Haar echt? Sind Ihre Augen von innen aufgemalt? Oder warum starren Sie mich so unverblümt an? Sie starren! Sehen Sie mich doppelt? Was ist mit Ihrem Dings da, Ihrem Dings da, Ihrer Nase los? Atmen Sie überhaupt? Ich höre Sie gar nicht atmen. Sie singen die ganze Zeit, als hielten Sie die Luft an. Ich hatte Angst um Sie. Ich war froh, als es vorbei war. Es war unmöglich, Ihnen in Ruhe zuzuhören. Ich habe mir dabei die Fußnägel geschnitten. Ihr Lied ist auch zu lang. In der Zeit hätte ich auch Ihnen die Fußnägel schneiden können. Verstehen Sie? Das kann nicht Sinn und Zweck eines Liedervortrags sein. Könnten Sie sich vorstellen so etwas zu singen wie:
 
„Mein Elefant rennt lachend durch den ALDI,
durchs Porzellanabteilungs-Paradies,
es schepperte zu der Musik: Vivaldi,
die er vergnügt auf seinem Rüssel blies.“
 
Verstehen Sie, wir könnten Sie in die Idiotenecke schieben. Lieder unter der Gürtellinie. Sie stehen dabei im Schlamm und haben nichts an. Sie singen und boxen dabei gegen ein Känguru. Wir stellen Sie vor 100 Senioren, und die blasen dabei Kamm auf ihren dritten Zähnen. Und das Ganze zeigen wir auf Video der Jugend. Geil. Hallo! Sind Sie noch da? Ich spüre Sie gar nicht. Wo ist Ihre Ausstrahlung? Sie haben überhaupt keine Präsenz. Ihr schlechter Atem ist das Auffälligste an Ihnen. Zusammen mit Ihrer Stimme könnten Sie im Wachschutz tätig sein. Scherz beiseite. Ich sage es gar nicht gern. Sie sind so unverbindlich. Als wären Sie es gewohnt, zum Bierholen geschickt zu werden. Apropos. Wären Sie so nett? Den Rest können Sie behalten. Sagen Sie nicht „Danke“. Es reicht, wenn Sie nützlich sind.




© Erwin Grosche
Veröffentlichung aus „Warmduscherreport“ in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung