Ein Leben ist kein Formular

Johann Szegö - "Bekannte österreichische Selbstmörder"

von Frank Becker
Der Tod, das muß ein Wiener sein

Schicksale von Ferdinand Raimund
bis Jack Unterweger

53 Namen von mehr oder weniger prominenten Österreichern hat Johann Szegö für dieses Buch zusammengetragen, deren Lebensabrechnung sie unter dem Strich durch den Vermerk vereint: „Tod durch eigene Hand“ - „Selbstmörder“. Szegö begeht dabei allerdings wie die Mehrheit der Mitmenschen den Fehler, mit dieser Bezeichnung Suizid und Mord auf eine Stufe zu stellen. Man muß weit vom Mordbegriff abrücken, der ja schließlich Kriterien wie Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, Heimtücke, Habgier, niedrige Beweggründe, Grausamkeit, mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken. Wer sich selber tötet, muß völlig anders betrachtet, seine meist höchst dramatischen Beweggründe müssen differenziert beleuchtet werden. Wer selbst Hand an sich legt ist, wiewohl er es tut, Opfer, nicht Täter.
 
Soviel zum Begriff. Zu den Tatsachen kommt man bei der Lektüre des Buches, dem der Autor ein aufschlußreiches Vorwort und ein ebensolche Einleitung mit historischem Abriß bis zurück zu biblischen Gestalten vorangestellt hat. Zu Recht betont Szegö: „53 Selbstmorde sind 53 menschliche Tragödien. Stimmt nicht! Es sind viel mehr Tragödien, da einige Selbstmörder für physische und psychische Qualen, für Leid und Tod ihrer Mitmenschen verantwortlich gewesen sind.“
Johann Szegö baut zunächst mit nüchtern erscheinenden statistischen Zahlen und Begriffen zu Methoden der Selbsttötung einen Rahmen, in den sich die später geschilderten Einzelfälle ordnen lassen, wenn auch nicht gänzlich. Denn ein Leben ist ein Schicksal und kein Formular. Dem folgte auch die späte Einsicht von Staat und Kirche, solch Unglückliche auf Friedhöfen zu bestatten, anstatt sie außerhalb dieser letzten Ruhestätten menschlicher Existenz zu verscharren.
 
Die Fälle aus 215 Jahren, die Szegö schildert, beginnen vor heute fast genau 220 Jahren mit dem Kanzlisten Franz Hofdemel, dessen Schicksal sich eng an das von W.A. Mozart bindet. Der eifersüchtige Kanzlist, der sich von seiner Frau Magdalene mit Mozart betrogen wähnte, verletzte am 6.12.1991, einen Tag nach Mozarts Tod, die schwangere Magdalene mit einem Messer, mit dem er anschließend seinem Leben selbst ein Ende setzte. Ein Skandal, der bis zu Beethoven drang: „Hofdemel? Ist das nicht die Frau, welche die Geschichte mit Mozart gehabt hat? Vor der spiel ich nicht.“ Es war aber doch wohl Hofdemels Kind, das sie gebar.
Aloys Ritter von Persa nahm sich am 3. August 1829 durch einen Sturz aus dem Fenster das Leben, nachdem ihm ein Zuckerl (Bonbon) aus der Hand und auf die des Kaisers gefallen war, für dessen Schutz er verantwortlich war. Im Biedermeier laut Szegö Grund genug, sich zu töten. Da sind wir heutzutage weiß Gott entspannter. Die von Szegö oft mit einer gewissen Ironie erzählten Begebnisse, die zu einem mal aufsehenerregenden, gelegentlich grotesken, immer jedoch dramatischen Ende führten, zeigen das ganze Spektrum von Gründen und Hintergründen für einen Suizid und der oft unglaublichen Methoden und Vorgehensweisen.
 
Egon Friedell z.B., der geniale Feuilletonist und Verfasser der „Kulturgeschichte der Neuzeit“, der eh von Todessehnsüchten getrieben war, stürzte sich aus Angst vor der Verhaftung durch Nazi-Schergen am 16. März 1938 aus dem Fenster seiner Wohnung, wobei er durch Zuruf Passanten vor seinem Sturz warnte. Der Kabarettist Carl Merz („Brettl vorm Kopf“, „Der Herr Karl“) erschoß sich am 31. Oktober 1979 in seiner Wohnung, nachdem er durch einen Schlaganfall arbeitsunfähig geworden war, und über den Gründe, aus denen sich der wohlhabende, erfolgreiche Arzt Clemens von Pirquet gemeinsam mit seiner Frau am 28. Februar 1929 vergiftete, ist bis heute nichts bekannt.
Wir lesen über Adalbert Stifter, Franz Jauner und Richard Gerstl, Alfred Redl, Stefan Zweig und Jean Améry, über Mörder wie Jack Unterweger, Josef Krista und Franz Fuchs, über Hoteliers, Politiker, Dichter, Künstler und Wissenschaftler. Eine ungemein spannende Lektüre über Lebensmüde aus einem Land mit nur etwas über 8 Millionen Einwohnern. Aber wir wissen ja seit Georg Kreisler: „Der Tod, das muß ein Wiener sein…“.
  
Johann Szegö – "Bekannte österreichische Selbstmörder"
© 2011 Ueberreuter, 208 Seiten, mit Schwarz-Weiß-Abbildungen, Maße: 15,4 x 21,9 cm, Gebunden mit Schutzumschlag -  ISBN-10: 3800075067 / ISBN-13: 9783800075065
19,95 €
Weitere Informationen unter: www.ueberreuter.at