Die Ewigkeit
des Augenblicks Tilo Nest bringt in Wuppertal
eine ideale Fassung von Alan Ayckbourns urkomischem, todernstem Psycho-Drama auf die Bühne. Inszenierung: Tilo Nest – Bühne und Kostüme: Bernhard Siegl – Dramaturgie: Oliver Held – Licht: Fredy Deisenroth - Fotos: Uwe Stratmann Besetzung: Neville Bunker (Thomas Braus) – Belinda, seine Frau (Maresa Lühle) – Phyllis, seine Schwester (Sophie Basse) – Harvey, sein Onkel (Georg Marin) – Bernard, Phyllis´ Mann (Lutz Wessel) – Rachel, Belindas Schwester (Julia Wolff) – Eddie (Holger Kraft) – Pattie, seine Frau (Juliane Pempelfort) – Clive Morris (Hanno Friedrich)
Sechs von fünf möglichen Sternen
Es dräut zwar in diesem wärmsten und trockensten November seit der Aufzeichnung des Wetters noch nicht der Winter, man hat nicht die Spur einer Ahnung vom kommenden Weihnachtsfest - doch unverdrossen bauen die Städte ihre saisonalen Weihnachtsmarkt-Buden auf, überbieten sich Händler in wohlfeilen Angeboten zum Fest und offenbart sich der ganze Schwindel als die verlogene Blase, die sie ist. Da kommt Alan Ayckbourns Drama zum Fest gerade recht – und auf den Punkt genau. „Schöne Bescherungen“ (Season´s Greetings), 1980 erstmals aufgeführt, ist seither das auch auf deutschen Bühnen rauf und runter gespielte satirische Weihnachtsstück schlechthin. Wer sich heuer auf den Weg nach Wuppertal macht und das Glück hat, noch eine Karte zu bekommen, kommt in den Genuß einer herausragenden Inszenierung, die Tilo Nest mit einer phantastischen Truppe auf die Beine gestellt hat. Ideal besetzt, ideal ausgestattet und mit sicherer Hand ideal geführt ist die Inszenierung, die am vergangenen Freitag ihre von Publikum und Kritik gefeierte Premiere hatte, die beste von vielen, die ich bisher sehen durfte. Kritiker-Kollege Peter Bilsing (Der Opernfreund) vergab im Gespräch gleich nach der Aufführung sechs von fünf möglichen Sternen an Tilo Nest und sein Ensemble. Dem ist nichts hinzuzufügen, wir waren uns einig. Perfekt.
Geniales Bühnenbild Das Bühnenbild von Bernhard Siegl, ein Aufriß des Hauses der Familie Bunker, verschmilzt die Handlungsorte zu einer übersichtlichen Einheit, skizziert durch geschickt angedeutete „Offs“ alle anderen, nicht sichtbaren Räume und durch die Öffnung nach oben auch die Welt außerhalb des Hauses, unterstützt durch Fredy Deisenroths kreative Lichtregie. Mit einem Blick ist der Zuschauer „drin“. Genial. Auch mit der weiteren Ausstattung (Kostüme, Mobiliar, Geschenkpakete, Hausbar etc. trifft Siegl ins Schwarze, gibt Nests brillantem Konzept den optischen Rahmen. Aus dem nicht eben zahlenmäßig üppigen Ensemble der Wuppertaler Bühnen hat Nest mit sicherer Hand jede, aber auch jede einzelne Rolle perfekt besetzt, wird Ayckbourns Intention zu 100 % gerecht und eröffnet mit einem Gag, der keine Zweifel offen läßt: als Vorspann erklingt über der offenen Bühne Monty Pythons → „Christmas in Heaven“ und legt die Marschrichtung fest.
Einsame Menschen am Rande des Nervenzusammenbruchs
Die Familie Bunker samt einquartierten Verwandten bereitet das traditionell gemeinsame Weihnachtsfest vor. Neville Bunker (Thomas Braus) vermeidet beharrlich, in häusliche Arbeiten eingebunden zu werden, lieber bastelt und repariert er in scheinbar stoischer Gelassenheit irgendetwas Elektronisches, während seine Frau Belinda (Maresa Lühle), äußerlich fröhlich, geschäftig und unentwegt plappernd weniger und weniger ihre Lebensenttäuschung verbergen kann. Schwager Eddie (Holger Kraft) ist alles egal. Er kümmert sich einfach um nichts, auch nicht um seine Kinder oder seine zum 4. Mal schwangere Frau Pattie (Juliane Pempelfort), die sich ihrerseits unentwegt um ihn kümmert. Onkel Harvey, 64 (Georg Marin) hat seine eigene Methode, sich zu
drücken: er schaut fern, und ansonsten schwadroniert oder poltert er. Vergessen wir nicht den vierten Mann der Familie, Bernard (Lutz Wessel), im Leben wie in der Ehe mit Phyllis (Sophie Basse) und im Beruf als Arzt eine Niete. Unentwegt belastet mit der depressiven, unberechenbaren Phyllis und sich unentwegt für alles und jedes bei allen und jedem entschuldigend, steht er bei aller vorgeführten Heiterkeit nicht nur am Rande des Nervenzusammenbruchs, er wird zusammenbrechen. Und dann ist da noch die im Leben zu kurz gekommene Schwester Belindas, Rachel (Julia Wolff), grenzenlos unsicher und über die Maßen neurotisch. Das ist im Grunde das Stichwort für alle, denn jeder scheint eine gravierende Neurose in sich zu tragen. Das Fest der Feste wird sie alle an ihre Grenzen führen und manche überschreiten lassen. Auslöser ist in vielen der Fälle der Neunte bei Tisch, der Schriftsteller Clive Morris (Hanno Friedrich), der von Rachel eingeladen als ihr möglicher zukünftiger Freund dabei sein soll. Er wird zum Fallstrick für Belindas Moral und eheliche Treue werden, er wird zum Katalysator für Rachels unüberwindbare Angstneurose werden, er wird Onkel Harveys Gewaltpotential zum Ausbruch bringen, er wird Phyllis Begehrlichkeit wecken und er wird Neville zur Offenbarung seiner eigentlichen inneren Stärke führen. Ein Meisterwerk, ein Meisterstück
„Schöne Bescherungen“ ist eine Komödie. Eine sehr gute Komödie mit einem Feuerwerk an sehr britischen, aber auch allgemein zündenden Pointen. Es ist ein urkomisches Stück – doch es ist im selben Atemzug Szene für Szene ein todernstes Psycho-Drama um zerstörte Menschen. Es führt jeden einzelnen der Charaktere (Eddie expressis verbis) splitternackt vor, reißt Masken herunter und zeigt erschreckende Abgründe zwischen durch Ehe und einst durch Liebe verbundenen Paaren. Wie man miteinander umgeht, wirkt erheiternd, läßt lachen, ist aber durchgängig von höchster Dramatik. Hier geht es ans Eingemachte. Alan Ayckbourn ist mit seiner Komödie ein Meisterwerk gelungen, Tilo Nest kongenial ein Meisterstück. Wie Nest die hohe Kunst der Ewigkeit eines sich dehnenden Augenblicks beherrscht, ist phantastisch – ob es das nicht ein einziges Mal zu viele Ein- und
Meine dringende Empfehlung: ziehen Sie sich das unbedingt rein (Zitat)!
Weitere Informationen und Termine: www.wuppertaler-buehnen.de
|