Laudatio auf Fitzgerald Kusz

Zur Verleihung des Platen-Preises 2011 in Ansbach am 8. November 2011

von Helmut Haberkamm

Fitzgerald Kusz - Foto: www.kusz.de
Laudatio auf Fitzgerald Kusz
 
Zur Verleihung des Platen-Preises 2011
in Ansbach am 8. November 2011
 
 
Sehr verehrte Anwesende, liebe Birgit, lieber Fitz,
 
als Franke in Franken jemanden wie Fitzgerald Kusz beschreiben zu wollen, das bedeutet Bratwürste nach Nürnberg tragen, oder Krautsköpfe nach Merkendorf, oder Spiegelkarpfen in den „Aaschgrund“.
Aber ich freue mich sehr, hier in diesem feierlichen Rahmen, vor diesem illustren Publikum, als Dialektkollege Fitzgerald Kusz beschreiben und loben zu dürfen. Warum?
Als ich Schüler war in Neustadt an der Aisch, da gab es in meiner Schulzeit eine einzige Autorenlesung. Unser Deutsch-Leistungskurs-Lehrer, der als Flüchtlingskind in Schlesien geboren war und keinerlei Akzent oder gar Mundart sprach, hatte einen fränkischen Dialektdichter eingeladen, eben Fitzgerald Kusz, dessen Texte wir vorher mit Schmunzeln und Lachen im Unterricht unserem Lehrer „audendisch“ vorgelesen hatten.
Einer dieser Texte hieß "aggression" und brachte die versteckte, aufgestaute Gewaltsamkeit im Alltag akkurat auf den Punkt:
 
wenni mi ooschdelln mou
waddi direggd draff
dassi anner vuurdrängd
 
Damals bei dieser für mich fürwahr einmaligen Lesung von Fitzgerald Kusz ist mir zum ersten Mal klar geworden, dass man meine Muttersprache nicht nur zuhause reden, sondern auch schreiben und vortragen konnte. Ja, mehr noch, dass die Sprache so schwarz auf weiß auf dem Papier eine merkwürdige, reizvolle  Fremdheit ausstrahlte, die beim Lesen und Hören im Nu umschlug in eine herzerwärmende, augenöffnende Vertrautheit. Eine Heimeligkeit, die aber auch unheimlich frech, pfiffig, widerborstig und entlarvend sein konnte. Also eigentlich ja auch wieder das Gegenteil von Heimeligkeit. Eine – heute würde man sagen: spannende – Mischung aus Nestwärme und Kaltschnäuzigkeit, Aufmüpfigkeit und zugleich gefühlte Zugehörigkeit.
 
Eines dieser Gedichte damals hieß nämberchä glaumsbekenndnis – es hat von seiner Aktualität überhaupt nichts verloren:
 
mä mou blouß
ann glubb glaum
wemmä ann glubb glabbd
nou glabbds
 
und wer ned
ann glubb glabbd
den haui sulang rum
bissä seine gnochn einzeln
vom buudn zammglaum koo
 
dann glabbdä aa
ann glubb!
 
Solche Texte haben uns damals einen Eindruck davon vermittelt, was „gescheite“ Dialektliteratur heutzutage sein kann: Eine solche geballte Mischung aus Mund und Ohr, Zunge und Zwerchfell, Bauch und Kopf, Kuhhaut und Kerbholz, Spracharbeit und Volksnähe.
So entsteht als Wirkung die geballte Mischung aus Herzwärme und Gedankenblitz, Alltagsnähe und geflügelten „Soocherer“, die die Dichtung und die Dramen von Fitzgerald Kusz kennzeichnet.
Das Wort Mischung scheint mir hier das Entscheidende zu sein.
Alles Reinrassige ist ja nur eine Erfindung, eine Künstlichkeit, bloße Einbildung.
Den „echten Ur-Franken“ gibt es ja gar nicht. Es gibt nur vermischte Franken, in einer Region, die immer Drehscheibe und Durchzugsgebiet gewesen ist.
Der heutige Franke ist das Ergebnis von gewaltsamen Eroberungen, notgedrungenen Migrationen, blutigen Vertreibungen, von Wirtschaftsasyl und hartnäckiger Sesshaftigkeit.
Was der Franke „in Reinkultur“ sozusagen verkörpert, das ist eine gute Mischung, ein Mischprodukt.
 
Fitzgerald Kusz kann dafür als ein beredtes Exemplar gelten.
Allein schon der Name von Fitzgerald Kusz zeigt das auf wundervolle Weise.
Der Vorname Fitzgerald ist nicht sein ursprünglicher Vorname, sondern ein Spitzname, den seine Freunde aus Amerika entlehnten, nämlich von John F. (nämlich Fitzgerald) Kennedy, weil Kusz als Jugendlicher eine gewisse Ähnlichkeit mit dem populären US-Präsidenten aufgewiesen haben soll.
Fitzgerald Kusz könnte heute also theoretisch auch John Kusz oder Kennedy Kusz heißen.
Aber Fitzgerald passt wie die Faust aufs Auge, denn es unterstreicht seine lebenslange Begeisterung für das Englischsprachige, für Dichter wie William Carlos Williams etwa, die Populärkultur der Rockmusik, für die Beat-Poeten und Pop-Art-Künstler. Nicht von ungefähr ist Fitzgerald Kusz gelernter Englischlehrer gewesen.
 
Es zeigt auch seine kritische Distanz zu Herkunft und Heimat: Fitzgerald Kusz ist ein Mensch und Autor, der nie das Fränkische als solches gefeiert und verherrlicht hat. Ihm ging es in erster Linie um die Sprache. Nicht umsonst war er ja auch einmal Deutschlehrer.
In seinem Gedicht dia-leckdigg bringt er es treffend auf folgenden Nenner:
 
ohne meinä muddä iä schbrouch
kammi meim vaddä sei land
kreizweis
 
Erst aus der Distanz zum Herkömmlichen und Bestehenden erwächst die Genauigkeit der Beobachtung.
So wie in diesem herrlichen Kusz-Dreizeiler, der das fränkische Selbstbild mit frappierender Selbsterkenntnis einfängt:
 
am sunndoochfräih wenn nu ka auto fährd
vuä dä roudn ambl schdäih und waddn:
des senn miä!
 
Mischung und kritische Distanz, das illustriert auch sein Familienname Kusz.
Ein Name, den er vom Vater erhielt, und der war ein Berliner Opernsänger, der Großvater Pianist, der Urgroßvater Geiger. Der kam – wie der Name – aus Ungarn (übrigens so wie auch bei Albrecht Dürer). Also: Ungarn, Berlin, Amerika, Forth. In Forth ist Fitzgerald Kusz aufgewachsen, so halbwegs zwischen Nürnberg und Erlangen, am Rand der fränkischen Schweiz, in der Nähe von Mausgesees und Kleingeschaidt. Sein fränkischer Großvater war Schreiner, die Oma Nebenerwerbsbäuerin, die den Spargelanbau nach Forth brachte. Was soll aus so einer bodenständig-beschwingten Mischung aus Musik, Bauernhof und Handwerk, aus Ungarn und Forth, anderes entstehen als ein fränkischer Dialektpoet, für den die Mundart ein urtümliches Gewächs und sinnfällige Musik geworden ist? Von Forth aber ist Fitzgerald Kusz fort, um sein Fortkommen zu finden.
Fränkische Künstler müssen ja bekanntlich fort, um weiterzukommen.
Von Forth ist er nach England gegangen, dann vom Dorf in die Stadt, nach Nürnberg, das für ihn zum Pflaster für Poesie und Dramen wurde, zur Stadt, in der die Straßenbahn immer noch den Namen „Sehnsucht“ trägt.
 
Franken ist für Fitzgerald Kusz Gottseidank kein Bratwurst-Schäuferla-Bier-Silvaner-Glubb-Barradies: Allmächt, Franken! Das Franken seiner Theaterstücke und Gedichte ist der Schauplatz menschlicher Unzulänglichkeiten, Kränkungen und komischer Missverständnisse, ein Hort kleinbürgerlicher Engstirnigkeit und falscher Gesinnungen.
 
Da muss man nur ein Schlagwort in den Raum werfen: „Schweig, Bub!“
Was wird da vorgeführt? Franken wie es leibt und lebt. Ein Volksstück, das Franken als liebenswürdig bis erschreckend unterhaltsamen Mikrokosmos präsentiert, der für die typische kleinbürgerliche, vielleicht sogar universale Provinzgesinnung steht. Familienmief und Sprachhülsen zum Brüllen und Davonlaufen. An dem Stück merkt man auch, dass Fitzgerald Kusz mehr mit Bertolt Brecht oder den progressiven Dichtern der Wiener Gruppe am Hut hat als mit Herbert Hisel oder den Peterlesboum. Von heutzutage populären Witzbolden ganz zu schweigen.
 
Fitzgerald Kusz ist 1944 geboren, ein Kriegskind also. Er gehört zur Generation der 68-er, die die damalige Bundesrepublik befreit hat von Muff, Erstarrung und Verdrängung. Zu dieser politischen Herkunft hat er sich zeit seines Lebens immer selbstbewusst bekannt. Diese Aufsässigkeit, die kritische Befragung der Verhältnisse und Denkweisen, hat Fitzgerald Kusz nie aufgegeben und er hat sie – ebenso wie sein Bamberger Freund und Kollege Gerhard C. Krischker – der fränkischen Dialektliteratur unverlierbar ins Stammbuch geschrieben, worüber wir bis heute dankbar sein können, denn genau dies begründet das hohe Niveau und große Ansehen der fränkischen Dialektliteratur heute.
 
Noch in seinen knappsten Dreizeilern steckt diese herzerfrischende Infragestellung des Bestehenden, z.B. im folgenden Gedicht live, das den Schwachsinn der Medienindustrie aufspießt:
 
des lebm
wos däi uns vuälebm
dass mäs nouchlebm
is blouß deoodä
 
Eine Laudatio soll loben, auch wenn es das Loben hier in Franken – wie wir wissen – sehr, sehr schwer hat: Nix gsachd is globd gnuuch!
 
Aber im Fall von Fitzgerald Kusz muss man einfach loben. Seit ungefähr vier Jahrzehnten verkörpert er die moderne fränkische Dialektliteratur wie kein anderer. Er ist eine Institution. Kult. Ein Klassiker.
Allein die Menge an Gedichtbänden, Theaterstücken, Drehbüchern, Hörspielen und Szenen spricht Bände – nicht zu vergessen Hunderte, ja wohl Tausende von Lesungen und Auftritten.
Viele seiner Stücke wurden in andere Dialekte und Sprachen übersetzt, wo sie ebenso treffsicher funktionieren.
Nicht zuletzt möchte ich hinzufügen, dass er als Mentor auch mir am Anfang sehr geholfen hat und ein noch heute, nach fast 20 Jahren, gültiges Nachwort verfasst hat zu meinem allerersten Gedichtband Frankn lichd nedd am Meer.
 
Deshalb ziehe ich heute von Herzen gerne meinen Hut vor Fitzgerald Kusz, ich sage ihm besten Dank und beglückwünsche ihn zu diesem schönen, noch jungen fränkischen Preis. Im Grunde können wir uns aber selbst gratulieren, dass wir Fitzgerald Kusz haben, hier in Mittelfranken. Er ist ein Pionier der Mundartliteratur, er hat Neuland erschlossen und Bleibendes geschaffen.
Wir können wahrlich mit Schiller freudetrunken ausrufen: „Diesen Kusz der ganzen Welt!“
 
Und was hat das alles mit August von Platen zu tun, mit diesem unglückseligen Dichter, für den Poesie, die Schönheit, die Kunst zum Heilmittel für die Malaise des Lebens werden sollte?
Na, ganz einfach: Ansbach und Poesie. Ansbach ist heute Abend ein guter Ort für die Poesie.
Also rufe ich freudetrunken aus: Preis diesem Manne, Preis dieser Stadt, Preis der Poesie!
 
Oder auf gut Westmittelfränkisch gesprochen:
 
A Leem lang Biecher schreim
Ab und zu Breise grieng dafier –
Doo maggsd fei wos mid!
 
Helmut Haberkamm
8. November 2011